kmkb - Arbeitsbedingungen in der Filmbranche

Filmbranche – gesunde Arbeitsbedingungen und wertschätzende Kommunikation

17/05/2023

Warum fällt es den Akteuren* der Filmbranche so schwer, es endlich anzupacken?

Es ist eine Tatsache: Veränderungen in der Arbeitswelt kommen oft erst dann zustande, wenn Systeme im Kern erschüttert sind. In der Film- und Fernsehbranche ist dies nicht anders. Die jüngsten Ereignisse um den Schauspieler Til Schweiger über die Arbeitsbedingungen seiner letzten Produktion haben die Akteure* erneut aufgescheucht. Wie auch immer man den „Skandal“ über die Arbeitsbedingungen in der Filmbranche bewerten mag, er hat es in der Medienberichterstattung ganz nach oben geschafft.

Einer der Hauptgründe ist, dass die Filmbranche sehr langsam und traditionell ist und oft an den gleichen Methoden und Arbeitsweisen festhält.  Organisations- und Kommunikationsstrukturen zu verändern und der Zeit anzupassen, werden nicht selten als Risiko betrachtet und können daher für die Entscheider Kontroll- und Machtverlust bedeuten.

Ein weiterer Grund ist, dass die Filmbranche von öffentlichen Fördergeldern (z. B. Deutscher Filmförderfonds DFFF) abhängig ist oder von großen Studios und Verleihern dominiert wird, die die meisten Ressourcen haben und somit oft die Macht haben, Entscheidungen zu treffen. Dies kann dazu führen, dass kleinere Projekte benachteiligt werden.

Außerdem werden viele Entscheidungen in der Filmbranche auf Grundlage von Finanzierung und Marketing getroffen, und nicht ausschließlich aufgrund ihrer künstlerischen oder kulturellen Bedeutung. Dies führt oft dazu, dass sich Filmemacher auf bewährte Formeln einlassen, die nicht notwendigerweise innovativ oder künstlerisch sind. Das führt auf Dauer zu Frust und Stillstand.

An vielen Produktionsstätten wird enormer Druck aufgebaut

Ein offenes Geheimnis ist, dass bei vielen Produktionen enormer Zeit- und Gelddruck aufgebaut wird, was auch dem Fachkräftmangel geschuldet ist (Umfrage Erich Pommer Institut + MediaCollective 2022 – PDF), um innerhalb eines engen Rahmens so viele Aufnahmen wie möglich in den Kasten zu kriegen. Die Konsequenz davon ist eine lange Arbeitszeit ohne angemessene Pausen oder genug Ruhezeiten für die Beteiligten. Diese Umstände führen dazu, dass Mitarbeiter* körperlich und mental erschöpft ein Projekt beenden. Dazu kann auch beitragen, dass man sich nicht innerhalb des Teams kennenlernt und sich nicht zugehörig fühlt. Während des Drehs ist man plötzlich damit konfrontiert, in Hierarchien funktionieren zu müssen. Dabei wird während des Drehs auf Assistenzen, Komparsen und kleine Rollen weniger Rücksicht genommen. Das wirkt sich bei den Dreheinsätzen, bei der Verpflegung, den Ruhezeiten und der Bezahlung aus.
Insgesamt ist es schwierig, in der Filmbranche eine Veränderung zu bewirken, da es viele komplexe Faktoren gibt, die hier eine Rolle spielen.

Die Anfänge für ein gesundes Arbeiten sind schon gemacht

Es gibt in Deutschland zahlreiche Filmverbände (z. B. der Bundesverband Schauspiel BFFS, oder dem Bundesverband Produktion), die sich seit Jahren für bessere Strukturen und Arbeitsbedingungen stark machen. Die Diskussion, Filmförderung zu entstauben, mehr Projekte zu fördern, die als wenig markttauglich eingestuft werden, ist uralt. Schon lange reicht das Motto: „Gut, dass wir einmal darüber gesprochen haben“ bzw. „Gut, dass wir es benannt haben“ nicht mehr aus, denn viele ambitionierte Talente kehren der Branche den Rücken zu und der Nachwuchs überlegt sich zwei Mal, ob er einsteigen möchte, in eine Arbeitswelt, die auf so vielen Ebenen toxisch ist.
Nicht erst seit gestern setzt sich die Arbeitswelt im Allgemeinen mit der Frage auseinander, wie gesundes Arbeiten aussehen kann. Begriffe wie New Work, gewaltfreie und transparente Kommunikation, auf Augenhöhe, Work Live Balance und familienfreundliche Arbeitsstrukturen oder flache Hierarchien sind längst bekannt.
Seitens vieler Arbeitgeber* und Unternehmen anderer Branchen werden sie inzwischen als unstreitige Werte begriffen und in Jobanzeigen als Einladung selbstverständlich erwähnt.

Professionelles Kommunikationstraining ist unerlässlich

Kurz gesagt: Professionelles Kommunikationstraining ist unerlässlich für diejenigen, die in der Film- und Fernsehbranche arbeiten. Fehlende soziale Kompetenz (22% bzw. 32%) und Kommunikatkionskompetenzen (43% bzw. 32%) werden von Seiten der Produktions-Unternehmen bei Festangestellten bzw. der für die Produktionsdauer Angestellten vermisst (Beitrag – Umfrage Erich Pommer Institut + MediaCollective 2022).
Es bietet den Teilnehmern nützliche Fertigkeiten sowie Werkzeuge, um Konflikte zu lösen und Termine einzuhalten – was letztlich dem Erfolg des Projekts dient.
Aber die Filmbranche funktioniert wie ein Dorf, man kennt sich, das hat Vorteile, aber auch Schattenseiten. Manchmal wird auch von der „Filmfamilie“ gesprochen. Wir wissen alle, wie grausam Familien sein können, wenn es schlecht läuft. Abhängigkeiten, Konkurrenz und emotionaler sowie sexueller Missbrauch sind die Schlagwörter, die wir leider auch mit Familienstrukturen verbinden. In jenen Fällen dauert es ebenfalls sehr lang, bis Missstände nach außen treten.

Kontrollinstanzen können die strukturellen Probleme nicht lösen

Was braucht es also? Kontrollinstanzen sind da, aber – warum werden sie oft umgangen? Warum fällt es gerade der Filmbranche so schwer, damit umzugehen?

Auf der einen Seite ist die Branche sehr überkontrolliert. Es gibt Regeln bei Stoffentwicklung, Diversity wird gefordert und gelebt. Es gibt neue Vertragszusätze, z.B. zu sexuellen Übergriffen, etc., seit kurzem auch den Beruf des Intimacy Coordinators (Glossar: Intimacy Coordinator), als professionelle Begleitung, Beratung und Betreuung am Filmset, um Grenzüberschreitungen zu vermeiden. Vor allem sexuelle.

Aber all diese lösen nicht die strukturellen Probleme der Branche. Der Verdacht drängt sich einem auf, dass durch eine starke Überregulierung genau das Gegenteil bewirkt wird. Dass diese Gesetze umgangen werden. Dass ins kindliche Handeln verfallen wird: „Jetzt erstrecht gegen die Regeln verstoßen!“

Es braucht einen Strukturwandel

Das ganze hierarchische System muss aufgebrochen und anders aufgebaut werden. Die Machtpositionen müssen diversifiziert werden.

„Die Tatsache, dass es eine Polizei gibt, heißt nicht, dass es keine Diebstähle mehr gibt.“

Machtmissbrauch, sexueller Missbrauch. Themen, über die wir als Gesellschaft noch nicht ausreichend gelernt haben, zu reden. Sie sind mit Angst besetzt.
In der Branche ist das „Nichts sagen“ verstärkt, weil es, wie in Familien, Abhängigkeitsstrukturen gibt.

Um an dieser strukturellen Veränderung mitzuwirken, gehört auch, dass man sich dazu äußert und darüber spricht.

Warum kommt man als „Player“ in diesem System nicht in die Selbstverantwortung und begreift, dass man das System mitgestalten kann oder „muss“? Es selbst in die Hand nehmen und selbst regulieren kann?
Anstatt in einem Klima der Angst tätig zu sein.
Weshalb ist die Angst zu groß, Grenzen zu setzen, die allen zugutekommen?
Warum ist es so schwer, Hierarchien aufzulösen, die krank machen?
Ist alles eine Frage der Sozialisation, der Kultur, in der wir aufgewachsen sind?
Eine Frage der eigenen Beurteilung darüber, wie mutig ich mich selbst einschätze?

Böser Wille oder mangelnde Professionalität?

Möglicherweise bringen die Entscheidungsmächtigen nicht die Bereitschaft mit, bzw., können es nicht besser, ihre Position zu reflektieren und neu auszurichten.
Weil es um Führungskompetenzen geht, die von ihnen selbst falsch verstanden werden.

Das Machtgefälle entsteht durch unterschiedliche Positionen und Erfahrungsgrade.
Wo ist es böser Wille, wo mangelnde Professionalität?
Gelten für die sogenannten „Cashcows“ in dieser Branche andere Regeln?

„Es werden nicht die Täter vom Set geschickt, wenn sie Scheiße gebaut haben, wie z.B. Regisseure und Schauspieler, sondern die in den niedrigeren Positionen, z.B. die Maskenbildnerin, denn wir können uns nicht leisten, Til Schweiger auszuwechseln“, meinte der Schauspieler Julius Feldmeier dazu.
„Wenn Opfer an die Öffentlichkeit gehen, haben sie mit einer negativen Gegenreaktion zu tun. Ihre Erfahrungen werden infrage gestellt, es wird ihnen nicht geglaubt, sie sind in der Beweispflicht und haben nur negative Konsequenzen daraus.“
(SWR-Beitrag, 04.05.2023 – Til Schweiger-Skandal: Was passiert an Filmsets wirklich?)

Mehr Raum für Kommunikation bei Netflix & Co., laut Wero Rodowicz

Es ist wichtig, die eigene „Macht“ zu kennen und zu wissen, ich darf mich äußern.
Wir sprechen von einer Branche, mit der wir alle, als Kinogänger, TV-Zuschauer, Streamingdienst- oder Mediathekennutzer in irgendeiner Form zu tun haben.

Es müsste in unser aller Interesse sein, zu erkennen, unter welchen Bedingungen oft Filme und TV-Sendungen entstehen. Und es sollte in unser aller Interesse sein, dass alle Player der Branche von Arbeitssicherheit und einem guten Klima am Set profitieren können.

Die polnische Regisseurin und Intimacy Coordinator Wero Rodowicz erklärt, warum es großen Streamingdiensten im Gegensatz zu deutschen Traditionsunternehmen möglich ist, gute Lösungen mit in die Länder, die von den Filmproduktionen besucht werden, mitzubringen. Hier konnte sie enorme Verbesserungen beobachten: „Man verhält ich in solchen Produktikonen viel besser, weil man gezwungen ist, Strukturen aufzubauen für enorme Mengen an Menschen. Netflix zum Beispiel hat ca. 10000 Menschen in sich. Da muss man sich Gedanken machen, wie verbindet man diese unterschiedlichen Kulturen und wie kann man kommunizieren, in so einer riesigen Organisation. Deswegen entstehen auch viele formale Verträge, viele Ideen und Strukturen, die man dann zu Filmproduktionen mitbringen kann. Auch hier passieren Fehler, aber es wird darüber gesprochen. Es gibt auch immer Vertrauenspersonen […] Ein krasser Unterschied ist die Kommunikation. Dass man z.B. Dinge im Vorhinein anspricht und sich Fragen stellt. Z.B., vielleicht ist jemand im Team autistisch und vielleicht geht man mit der Person etwas anders um. Und es ist völlig in Ordnung. Damit es besprochen werden kann, muss ein sicherer Raum geschaffen werden […] Bei uns fehlen auch Kommunikationspunkte zwischen Regie und Schauspiel zum Beispiel. Manchmal wird etwas zu spät besprochen. Viele traumatisierende Erfahrungen entstehen dadurch, auch für junge Menschen.“

Die Problematik hat auch eine politische Dimension

Die Problematik hat, wie schon erwähnt, auch eine politische Dimension. Denn die meisten Projekte wären ohne finanzielle Förderung gar nicht möglich. Sie werden durch Steuergelder in Millionenhöhe auf Bundes- und Landesebene unterstützt. Deshalb äußerte sich auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth dazu:

„Auch künstlerische Genies – oder angeblich künstlerische Genies stehen nicht über Recht und Gesetz […] Die Zeiten patriarchalischer Macker, die ihre Machtposition in übelster Form ausnutzen, sollten wirklich vorbei sein. Auch wenn das offenkundig noch nicht alle verstanden haben.“

Claudia Roth fordert einen Verhaltenskodex, eine Art Selbstverpflichtung für die Branche. Würde das weiterhelfen?

Der Bundesverband Schauspiel (BFFS) fordert seit Jahren, dass die Vergabe öffentlicher Mittel an Tarifbindung geknüpft wird. „Das findet nach wie vor nicht statt“, so ein Vorstandsmitglied, der Schauspieler Hans Werner Mayer. „Es werden Gelder vergeben an Produzenten, die sich gar nicht an diese Gelder halten.“

Und, „man muss andere Finanzierungsstrategien finden, dass auf der strukturellen Ebene den Tätern begegnet werden kann.“

Alle Player in der Branche müssen etwas tun, um den Strukturwandel in Gang zu setzen

Verbände, die Produzentenallianz, Verdi… Es muss einen Hebel, ein scharfes Schwert geben, dass sie auch wirklich implementiert werden. Dass es nur dann Geld gibt, wenn die Regeln auch anerkannt werden. Produzenten und Sender haben auch die Verantwortung.

Wero Rodowicz setzt zudem weiter auf Kommunikation. Und darauf, dass man Menschen anstellen müsse, die „Genderstudien“ hinter sich haben, Psychologie gelernt haben. Dass man dieses Wissen anwendet und nutzt und es als einen Teil des Filmemachens versteht.

„Man sollte auch Beispiele geben und Wege finden, wie man sich gegenseitig bilden und dabei auch Spaß haben kann, weil es schön ist, sich gegenseitig zu verstehen, es ist schön, nach Kommunikationswegen zu suchen, es ist schön, Sachen übereinander herauszufinden. Das könnte inspirierend für verschiedene Industrien sein.

Wissenswertes

In der Filmbranche gibt es verschiedene Leitbilder und Ethikrichtlinien für Produktionsfirmen, die dazu beitragen sollen, dass Filme auf professionelle und ethisch verantwortungsvolle Weise produziert werden. Ein bekanntes Beispiel ist der „Production Code“, auch Hays Code genannt, aus den 1930er Jahren, der eine Vielzahl von Themen abdeckte, darunter Gewalt, Sexualität, Religion und Zensur. Heute haben viele Produktionsfirmen ihre eigenen Leitbilder und Ethikrichtlinien entwickelt, die unter anderem den Schutz von Minderheiten, Umweltschutz und die Förderung von Vielfalt und Inklusion betreffen können. Diese Leitbilder dienen auch dazu, die Qualität der Filme zu verbessern und das Vertrauen der Zuschauer in die Filmindustrie zu stärken.
Aber Leitbilder und Ethikrichtlinien müssen gelebt und überprüft werden, was einen Mehraufwand bedeutet. Um ein Projekt auszuwerten, müssen Kennzahlen bestimmt werden. Das Wissen um Einschaltquoten oder Ticketverkauf reicht nicht aus, um ein Projekt als erfolgreich oder nicht erfolgreich ins Archiv zu schieben. Gesunde Arbeitsplätze orientieren sich an Kennzahlen wie Krankheitstage, Weiterbildungsbedarfe, Zufriedenheit der Akteure und vieles mehr.

Veränderung und Wachstum beginnt mit:

Selbsterkenntnis, Selbstakzeptanz und Selbstveränderung.

So schwer ist es nicht. Ein Anfang ist schon getan.

Ein Dank an jene, die immer wieder aufs Neue beginnen.

kmkb-Redaktion

Claudia Klischat und Ulrike Heimann

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