kmkb - Claudia Roth bei der Nominierung Deutscher Filmpreis 2023

Initiative Fair Film – für mehr soziale Nachhaltigkeit in der Filmbranche

28/05/2023

Der Ruf, nun auch in der Filmbranche sozialere Arbeitsbedingungen zu schaffen, wird lauter

Die in dem, von der Initiative Fair Film an die Kulturstaatsministerin Claudia Roth formulierten offenen Brief (PDF) benannten Forderungen, lassen keinen Zweifel aufkommen. Es gibt keinen Interpretationsspielraum mehr. Die über die Jahre anschwellende Welle der Unzufriedenheit über die Produktionsbedingungen in der Filmbranche, die sich am “Fall” Till Schweiger (out-takes.de) brach, bringt eine ganze Branche in nervöse Erregung. Es geht hier nicht um individuelle Empfindlichkeiten, um Einzelfälle arbeitsrechtlicher Defizite, von Machtmissbrauch. Es zeigt sich ein strukturelles Problem, das durch prekäre Arbeitsbedingungen, wie geringe Budgets, unmenschliche Arbeitszeiten, geringe Verdienste und die daraus resultierenden Konkurrenz- und Machtkämpfe, bzw. Grenzüberschreitungen geprägt ist.

Die Initiative Fair Film, ein Netzwerk aus über 25 Filmverbänden aus unterschiedlichen Gewerken, sprechen die Ministerin für Kultur und Medien in ihrem Brief persönlich an und beziehen sich dabei auf das Reformvorhaben des Filmfördergesetzes (FFG): Soziale Standards sollen an die Förderung von Filmprojekten gebunden sein.

Zur Erinnerung: Am Vormittag des 16. Februar 2023 war der Jubel groß, als Claudia Roth ihre Pläne der Reform der Filmförderung bei der Branchenkonferenz der Produzentenallianz vorstellte (spiegel.de). Wurde das Wirken der Ministerin im ersten Amtsjahr 2022 noch argwöhnisch beäugt, vermittelt sie nun glaubwürdig die Interessen der Kultur- und Kreativwirtschaft zu vertreten. Die Erwartungen und der Reformdruck ist hoch.

Die Forderung nach sozialer Transformation der Branche ist ein großer Sprung, den die Landesförderungen und öffentlich-rechtlichen Sender mit vollziehen müssen. Dieser klappt nur, wenn sie u. a. in ihren Budgets Mittel für Führungskräfte-Fortbildungen, Stellen für Staff/Crew-Coaching, Überstunden-Regelung und die damit verbundenen notwendigen und effektiven Kontroll-Werkzeuge bereitstellen.

Im Folgenden veröffentlichen wir den offenen Brief der Initiative Fair Film, datiert am 26.05.2023.

Lucas Reiber, Lea van Acken, Claudia Roth, Alexandra Maria Lara, Florian Gallenberger · Eventpress, Sascha Radke / © Deutscher Filmpreis 2023

“Sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Claudia Roth,

wir möchten Sie beim Wort nehmen!

Wir sind über 25 Filmverbände aus unterschiedlichen Gewerken und freuen uns, dass Sie als erste Kulturstaatsministerin unsere Situation ernst nehmen. Mit Punkt 7 Ihrer Eckpunkte zur Reform des Filmfördergesetzes (FFG) fordern Sie die Einhaltung sozialer Standards als Voraussetzung für die Filmförderung.

Wir hoffen, dass Ihnen die Umsetzung auf ganzer Linie gelingt und diesem Schritt alle Landesförderungen und öffentlich-rechtliche Sender folgen. Denn das ist mehr als überfällig.

Die durch zahlreiche Presseberichte in die Öffentlichkeit geratenen Missstände bei der Produktion “Manta Manta – Zwoter Teil” werfen ein Schlaglicht auf unsere Branche. Aus eigener Erfahrung können wir bestätigen, dass dies kein Einzelfall ist. Die Fallzahlen der Themis, aber auch die Umfrage von “Vielfalt im Film” belegen, die Strukturen in der Film- und Fernsehbranche fördern systemischen Machtmissbrauch. Zeitdruck, zu lange Arbeitszeiten sowie mangelnde finanzielle Mittel bei vielen Produktionen führen oft zu einer physischen und psychischen Überlastung der Filmschaffenden. Daher müssen wir Strukturen schaffen, die den dringend nötigen Kulturwandel in der Filmbranche ermöglichen. Leider hat sich gezeigt, dass die Ergänzungen der Aufgaben der Filmförderungsanstalt (FFA) im § 2 des FFG von 2017, zu sozialverträglichen und fairen Bedingungen in der Filmwirtschaft keine Wirkung hatten.

Wir fordern daher verbindliche Maßnahmen und Gesetzesvorhaben, damit der von allen erwünschte Wandel zu sozialer Nachhaltigkeit in der Filmbranche stattfinden kann.

Die folgenden Vorschläge wurden im Zusammenschluss aller relevanten und betroffenen Filmgewerke und Filmverbände erarbeitet.

  1. Grundsätzliche Maßnahmen:
    1. Für einen positiven Förderentscheid müssen die kalkulierten Budgets die Einhaltung sozialer Mindeststandards gewährleisten. Dazu gehören u.a. eine ausreichende Anzahl von Drehtagen, ausreichende Zeit und Mittel für die Drehbuchentwicklung, für Preproduction (z. B. für Kostümbild, Regieassistenz, Szenenbild), und Postproduktion (Tage für Schnitt, Ton-, Bildnachbearbeitung und Mischung) sowie die angemessene Entlohnung des Teams. Die eingereichten Kalkulationen sollten, wie bei der MFG Filmförderung längst gängige Praxis, von Fachpersonen, wie erfahrenen Herstellungs- leiter*innen überprüft werden. Bei zu gering kalkulierten Mitteln gibt es die Chance der Nachbesserung, ohne die nicht gefördert wird. Auch die Einordnung in die Sparte Talent (Nachwuchs-), Debüt- oder Low-Budget-Film darf nicht dazu führen, dass andere bzw. niedrigere soziale Standards gelten.
    2. Um zu verhindern, dass Nachwuchs-, Low Budget- und innovative Projekte sowie Filme mit kleineren Strukturen, wie Dokumentarfilme, nicht mehr gefördert werden, sollte es einen eigenen Fördertopf oder eine Quote für diese Projekte geben.
    3. Einführung eines verpflichtenden und überprüfbaren Code of Ethics, nach dem Vorbild des Österreichischen Film Instituts.
    4. Obligatorische Vertrauensperson im gesamten Produktionsprozess bei Spielfilm- und Serienproduktionen, die dem Filmteam als Ansprechperson für Fälle von Diskriminierung, Ungleichbehandlung, (sexuellem) Missbrauch, Genderbias, Verletzungen des Arbeitsrechts etc. zur Seite steht. Hierbei muss es sich zwingend um eine externe und professionell geschulte Person handeln. Diese Position sollte ein eigener förderungsfähiger Kalkulationsposten sein. Bei der konkreten Umsetzung sollten Best-Practice-Beispiele und Erfahrungen (bfi.org.uk) berücksichtigt und weiterentwickelt werden.
    5. Erweiterung der Themis als Beratungstelle über sexuelle Belästigung und Gewalt hinaus (auch für Diskriminierung, Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, Gewalt, Mobbing, Verletzungen des Arbeitsrecht etc., siehe https://we-do.filmschaffende.at oder https://vera-vertrauensstelle.at) sowie Stärkung der strukturellen Unabhängigkeit.
    6. Schulungen für Entscheider*innen der Filmbranche. Förderberechtigt sind nur Produzent*innen, die den Nachweis einer Teilnahme an einem qualifizierten Seminar/Workshop zur Prävention von Diskriminierung und Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, sexuellen Übergriffen, Gewalt, Mobbing, Genderbias und Schaffung eines entsprechenden, fairen Arbeitsumfelds absolviert haben.
    7. Mehr Diversität und Parität vor und hinter der Kamera, denn dies hilft, die verfestigten Machtstrukturen aufzubrechen. Maßnahmen hierzu, wie z. B. der Inclusion Rider oder Diversitätschecklisten sind von Initiativen wie Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen und ProQuote Film beschrieben und werden in Österreich, Schweden und England bereits vorgelebt.
    8. Jährliche Durchführung einer bundesweiten Branchenstudie ähnlich der Looking Glass Studie in Großbritannien (The Looking Glass – mental health in the UK film, TV and cinema industry, https://bit.ly/42jK27f).
  2. Soziales und Lohngerechtigkeit:
    1. Jede geförderte Produktion muss ihren Mitarbeiter*innen eine betriebliche Altersvorsorge anbieten. Ein branchenspezifisches, ergänzendes Angebot, z. B. über die Pensionskasse Rundfunk (PKR) sollte Fördervoraussetzung werden.
    2. Der Tarifvertrag für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) sollte möglichst für alle geförderten Produktionen gelten. Sollten Produktionsfirmen nicht tarifgebunden sein, dürfen sie die Ausnahmeregelungen zur Arbeits- zeit § 5 nur anwenden, wenn sie den gesamten Tarifvertrag berücksichtigen. Die Praxis zeigt, dass sich manche Produktionen, um das Arbeitszeitgesetz zu umgehen, nur auf § 5 beziehen, ohne die anderen Regelungen zu erfüllen.
    3. Die Tarifgagen des TV FFS und die Basishonorare der mit den Verbänden ausgehandelten GVR sind Mindestgagen. Sie sollten nur für Film- und Fernsehschaffende mit bis zu maximal 3 Jahren Berufserfahrung in der Kalkulation angewendet werden. Ansonsten müssen realistische Budgets auf der Grundlage marktüblicher Gagen sichergestellt werden.
    4. Der Tagessatz von (Solo-)Selbstständigen und Kleinstunternehmer*innen muss um 40% über dem durchschnittlichen Tarifhonorar liegen, um auf ein „Equal-Pay-Niveau“ zu kommen (siehe Code of Practice – Für freie Film- und Fernsehschaffende von ver.di: 20% Arbeitgeberanteil zum Sozialversicherungsbeitrag; 5% Versicherungspauschalen für Berufsgenossenschaft, Haftpflicht etc.; 15% Verwaltungs- und Handlungskosten sowie Unternehmensgewinn, https://bit.ly/45lCxiE).
    5. Für freischaffende Urheber*innen sollten die Sozialleistungen mit den Pauschallöhnen nicht abgegolten sein und eine Arbeitslosenversicherung als Absicherung finanziert werden.
    6. Gleiche Bezahlung unabhängig vom Geschlecht. Chancengleichheit und Parität vor und hinter der Kamera müssen obligatorisch werden, um die eklatante Lohnlücke von 35% (taz.de) zu schließen.
    7. Jede Arbeitsstunde ab der 41. Wochenstunde muss als Überstunde anerkannt und entsprechend vergütet werden. Die bisher geltende 50-Stunden-Woche ist nicht mehr zeitgemäß.
    8. Überstundenregelungen müssen auch für pauschal bezahlte Selbstständige zur Anwendung kommen (Regie, Kamera, Szenenbild, Kostümbild etc.).
  3. Förderung zukunftsweisender Arbeitsstrukturen:
    1. Einführung einer Teilzeit-/Jobsharingquote für geförderte Projekte, bei teilweisem Lohnausgleich (Care-Arbeitende dürfen nicht in die Teilzeitfalle rutschen).
    2. Separater Fördertopf zur Förderung von familienfreundlichen Strukturen. Sei es die Kinderbetreuung am Set oder der Lohn- ausgleich für Jobsharer. Bisher sagen 79% der Filmschaffenden Familie und Beruf sei nicht vereinbar. Dies muss sich ändern (siehe https://out-takes.de/gutachten_juni_2021).
    3. Förderanreize bei Erfüllung sozial nachhaltiger Standards, wie die 4-Tage-Woche, Parität, Diversität, überdurchschnittliche Teilzeit- quote und besonders familienfreundliche Strukturen.
  4. Ein von Ihrem Ministerium geladener Runder Tisch mit allen wichtigen Branchenteilnehmer*innen und den öffentlich-rechtlichen Sendern, die im Filmgeschehen Deutschlands eine Schlüsselposition einnehmen. Es muss den Produzent*innen ermöglicht werden, Projekte ohne übermäßige Überstunden und Sicherheitseinschränkungen umzusetzen. Vorprogrammierten Zeitmangel darf es nicht mehr geben. Es muss mehr Zeit für die Drehbuchentwicklung einkalkuliert, die Vorbereitungstage der Preproduction erhöht und die Anzahl der Drehtage an die gesetzlichen Arbeitszeitvorgaben angepasst werden. Ebenso müssen die Budgets und Zeitkontingente für die Postproduktion auf ein realistisches und sozialverträgliches Niveau angehoben werden. Drehbücher sollten nicht mehr nur nach Formaten, sondern nach Inhalt und Anspruch kalkuliert und die Budgets entsprechend angepasst werden. Es ist an der Zeit, dass die Geldgeber*innen Verantwortung übernehmen.

All diese Vorschläge werden das Arbeiten für alle Filmschaffenden und auch den Nachwuchs attraktiver und zukunftsfähiger machen. Dies ist beim aktuellen Nachwuchs- und Fachkräftemangel ein notwendiges Signal an die Filmbranche. Wir wünschen uns Strukturen, die resilient gegen Missbrauch sind und in denen die mentale Gesundheit und die Work-Life-Balance der Filmschaffenden, Chancengleichheit sowie soziale Absicherung mitgedacht werden. Wir sind uns sicher, dass ein sozial nachhaltiges Arbeitsumfeld und bessere kreative Bedingungen zu spannenden, mutigen und damit erfolgreicheren Filmen führen. Der jetzige Zustand ist unhaltbar und muss verändert werden.

Wir hoffen auf Ihre Mithilfe und freuen uns auf Ihre Rückmeldung. Für Rückfragen stehen wir selbstverständlich zur Verfügung: mail@initiative-fair-film.de

Der Reformplan für das Filmfördergesetz

wurde am 16.02.2023 beim Branchentreffen der Produzentenallianz von Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth vorgestellt.

Der Reformplan

Sieben Eckpunkte umfasst die Reform, die bis Ende des Jahres in einem Gesetzentwurf münden und Anfang 2025 in Kraft treten soll:

  1. Die Stoffentwicklung soll gestärkt werden, damit das Potenzial von Projekten besser ausgearbeitet werden kann. Gleichzeitig soll es einfacher und risikoärmer werden, Projekte zu stoppen, die sich wenig vielversprechend weiterentwickeln. War es zuvor schwieriger, Geld für die Stoffentwicklung zu bekommen, soll nun die Produktionsförderung anspruchsvoller werden.
  2. Dokumentar-, Kurz- und Nachwuchsfilme sowie der künstlerische Film sollen eine eigene Förderschiene jenseits marktwirtschaftlicher Ansprüche erhalten, damit der künstlerische Anspruch im deutschen Kino gewahrt und entwickelt werden kann.
  3. Automatische Fördermechanismen sollen gestärkt werden, möglichst in einer Kombination aus Standort- und Referenzförderung. Auch das österreichische Modell, das eine automatisierte Förderung ohne Deckelung vorsieht, wird von Roth nicht ausgeschlossen. Ebenso drängt sie auf eine Investitionsverpflichtung für Streaminganbieter, die bislang nicht in die deutschen Förderstrukturen einzahlen.
  4. Alle filmpolitischen Aufgaben, die auf Bundesebene anfallen, sollen in einer neuen Institution namens Filmagentur gebündelt werden. Dazu gehören die vor allem marktwirtschaftlich ausgerichtete Filmförderungsanstalt (FFA) sowie die kulturelle Filmförderung, die beim BKM angesiedelt wird. In der Filmagentur würden beide Förderungen unter einem Dach zusammengefasst.
  5. Die Förderinstrumente von Bund und Ländern sollen stärker verzahnt werden. Damit Produktionen nicht von Länderförderung zu Länderförderung tingeln müssen, soll es bei der Bundesförderung eine Mindestförderquote geben. Aufbauend auf dieser können dann die restlichen Gelder bei den Länderförderern beantragt werden. Ziel ist es, die Zahl der an einem Projekt beteiligten Förderungen deutlich zu senken und damit auch den bürokratischen Aufwand zu begrenzen. Die Einbindung der öffentlich-rechtlichen Sender in die Filmförderung soll dabei bestehen bleiben.
  6. Die Sichtbarkeit der Bandbreite des deutschen Films soll gesteigert werden, da sich Aufmerksamkeit und Zuschauerzahlen bislang auf wenige Produktionen konzentrieren. Dazu soll die hiesige Verleiher- und Kinolandschaft gestärkt werden, indem die Kinos bei der Auswertung Vorrang haben sollen, anschließend aber passgenauer verhandelt werden kann, wie und wo ein Film sonst noch laufen kann.
  7. Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit sollen sowohl als Ziele als auch als Grundlagen der Förderstrukturen verfügt werden.

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