Christoph Niemann: Grafiker, Illustrator und Autor. Seine Geheimrezepte für kreatives Glück.
09/12/2023
Die visuelle Sprache beherrschen, wie ein Pianist das Klavierspiel beherrscht
Was schreibt man über einen Menschen, der ein Bild-Erzähler ist? Der mit seinen Werken, wie er von sich sagt, täglich versucht, die Welt bildhaft zum Ausdruck zu bringen? Muss man seine Illustrationen und Zeichnungen sehen, um verstehen zu können, wie er die Welt betrachtet, was ihn bewegt und welche Persönlichkeit sich hinter seinem bekannten Namen verbirgt? Hinter dem Namen Christoph Niemann, der laut Jeroen van Rooijen von der Bellevue NZZ Zürich „den schönsten Strich unserer Zeit“ hat und weiter, dessen Zeichnungen und Aquarelle „eine subtile Leichtigkeit, einen Schalk und eine poetische Qualität, die ihresgleichen suchen“ besitzen. Ein kreativer Kopf, dessen Ziel es immer war, die visuelle Sprache so zu beherrschen, wie ein Pianist das Klavierspiel beherrscht. Der Herr der Tasten werden wollte, um mit Hilfe dieser Sprache verschiedenste Ideen und Gefühle zu vermitteln. Der es schafft, mit seinen Bilderkompositionen unseren Blick auf die Welt und die Dinge, die uns umgeben, zu verändern.
Meine Antwort ist: ja, unbedingt muss man seine Werke sehen und erleben. Selbstverständlich. Und es wäre schön, wenn manch eine oder einer, der diesen Beitrag liest, sich danach inspiriert fühlt, nach seinen Bildern zu suchen, um sich bestenfalls an ihnen zu erfreuen, genauso, wie ich es getan habe und noch immer tue. Und dadurch vielleicht ebenfalls einen neuen Blick auf die Welt und die Dinge bekommt.
Und dennoch denke ich, dass man auch in der geschriebenen Sprache Christoph Niemanns verschiedenste Ideen, Gefühle und Gedanken vermitteln kann. Etwas über den Menschen erzählen, über seine Selbstzweifel im manchmal schmerzhaft kreativen Prozess, aber im selben Zuge auch der Frage nachgehen: „Wie arbeitet er und wie hat er es geschafft, mit seiner Arbeit so bekannt und erfolgreich zu werden?“
Inhaltsverzeichnis
- Die visuelle Sprache beherrschen, wie ein Pianist das Klavierspiel beherrscht
- Zwischen Disziplin und künstlerischen Selbstzweifeln
- Der Traum eines jeden Illustrators*
- Christoph Niemann über Abstraktion in der Kunst
- Nach dem Studium ist vor New York
- „Wir Profis gehen morgens zur Arbeit und legen los.“
- Immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um magische Momente zu schaffen
- Schöpferischer Akt ohne Deadline im Nacken
- Eine alte Geschichte auf eine neue Weise erzählen
- Seine berühmtesten Arbeiten
- Ausstellungen Auswahl
- Kunstmessen Auswahl
- Beiträge zum Thema Portrait
Zwischen Disziplin und künstlerischen Selbstzweifeln
Christoph Niemann begegnete mir das erste Mal vor ein paar Jahren, als ich meinen allerersten Film auf einer bekannten Streaming-Plattform angeschaut habe. Unter dem Serientitel „Abstrakt“ fand ich ein Porträt über ihn, das mich nachhaltig berührt und gedanklich immer wieder begleitet hat. Inzwischen habe ich es mir schon mehrmals angeschaut und dabei immer wieder etwas Neues entdeckt. Aber das verzauberte Gefühl, das von Anfang aufgekommen war, ist geblieben. Sicherlich auch durch die, wie es einmal in einer Kritik über eine seiner Ausstellungen stand, „zauberhaften Gedanken und Emotionen von Christoph Niemann und seine Ehrlichkeit […], auch sich selbst gegenüber, mit denen er seine Arbeit und vielleicht auch sich selbst erklärt.“
In diesem filmischen Doku-Porträt, in dem der Bogen seines Werkes und Lebens über einen einzigen Arbeitstag an seinem Arbeitsplatz in Berlin gespannt wird, erfährt man schon bald durch ihn: „Alles, was zwischen 9 und 18:00 Uhr passiert, ist Arbeit.“ Und „Ich arbeite hauptsächlich allein.“
Er sitzt, pünktlich ab 9:00 Uhr in seinem Atelier an seinem Schreibtisch, zeichnet und designt, um ihn herum nur seine Utensilien, sein Laptop und seine Kaffeemaschine. „Hier dreht sich alles nur um mich. Ich bin ein totaler Kontrollfreak und hätte am liebsten ein Patentrezept für meine Kunst. Aber das gibt es natürlich nicht. Diese Erkenntnis ist schmerzhaft und ein Großteil meiner Arbeit besteht immer noch darin, auf Papier zu starren. Ich muss einfach darauf vertrauen, dass irgendwann etwas Verrücktes passiert“, erzählt er in einer sympathischen Offenheit.
Da sitzt also der berühmte Christoph Niemann an seinem Tisch und gibt zu, dass die meiste Zeit seiner Arbeit darin besteht, auf Papier zu starren. Vielleicht für manchen, dem es auch so geht, sehr tröstlich zu hören.
Der Traum eines jeden Illustrators*
Er ist gerade dabei, nach einer Idee für das Cover des Magazins „The New Yorker“ zu suchen. Das Thema ist „Virtual Reality“. Für ihn völliges Neuland. Das Cover soll dreidimensional und räumlich wirken. Man soll das Bild aus mehreren Perspektiven sehen.
„Das Cover des Magazins zu gestalten, ist der Traum eines jeden Illustrators“, sagt Niemann. „Das liegt an seiner Geschichte, an den Künstlern, die bisher daran beteiligt waren, und vor allem an seiner kulturellen Bedeutung. Was ich am New Yorker besonders schätze, ist das Layout des Titelblatts. Es gibt keinen Artikel über dieses Thema in dieser Ausgabe, man bekommt eine leere Bühne und darf für eine Woche das Bühnenbild gestalten.“
Er hatte bis dahin schon 22 Titelseiten für dieses Magazin gemacht. Der Deutsche aus Waiblingen im Schwabenland, Jahrgang 1970, der an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste studierte und 1997 nach New York City zog, wo seine große Karriere als Illustrator, Designer und Autor begann. Seine Illustrationen waren später nicht nur auf den Titelseiten des New Yorker zu sehen, sondern u.a. auch imWired, demThe New York Times Magazine, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung oder im Süddeutsche Zeitung Magazin. 2008 zog er zurück nach Deutschland, nach Berlin, wo er noch heute mit seiner Frau und seinen drei Söhnen lebt.
Dass er einmal die Titelseiten und Seiten der großen Magazine und Zeitungen gestalten würde, hätte er sich anfangs nicht träumen lassen. „Nach den ersten zwei oder drei Covergestaltungen denkt man plötzlich: >Ach, das ist ein Job wie jeder andere.< Aber dem ist nicht so. Es ist immer spannend und es wird nie einfacher. Bei der Entstehung meiner besten Arbeiten war ich immer angespannt und schlecht. Ich werde sogar misstrauisch, wenn ich beim Arbeiten zu viel Spaß habe, weil ich weiß, dass nichts Gutes dabei rauskommen kann“, gibt Christoph Niemann zu.
Und gedanklich wieder zurück bei seiner aktuellen „Virtual Reality“ – Aufgabe sagt er: „In 2-D kann man schummeln, wenn einem etwas nicht gefällt, versteckt man es hinter einer Wand. Aber hier kann man hinter die Wände blicken und das Chaos dahinter sehen. Das erfordert endlose Kompromisse. Die einzelnen Elemente bilden keine hochauflösende 3D Welt. So etwas hasse ich. Wenn alles glänzt und wie stinkendes Plastik aussieht. Ich will mit Tusche ein zweidimensionales Bild zeichnen, das man betreten kann und das einen umgibt. Zu viele Linien. Füge etwas hinzu, von dem du nicht überzeugt bist. Das wird das Interessanteste am ganzen Bild. Wenn alle Stricke reißen: Wassertanks gehen immer“. Sprach’s und malte mit gekonntem Pinselstrich ein paar abstrakte Wassertanks.
Christoph Niemann über Abstraktion in der Kunst
Seiner Meinung nach ist Abstraktion der wichtigste Prozess in der Kunst. Er erklärt, dass sein Konzept immer mit 1000 Gedanken beginnt, die er nach und nach verwirft, bis am Ende nur noch eine Handvoll übrigbleibt. Das Konzept in kondensierter Form. Die Abstraktion bedeutet, dass man alles weglässt, was für die Übermittlung einer Botschaft nicht wesentlich ist. Später wurde ihm klar, dass extreme Vereinfachungen nicht das Richtige sind. Die Übermittlung einer Idee erfordert eine ganz bestimmte Informationsmenge. Manchmal seien viele realistische Details notwendig und manchmal genüge eine einzige Linie, ein einziges Pixel. „Bei jeder Idee gibt es eine goldene Mitte“, sagt Niemann. „So nehmen wir zum Beispiel ein Herz. Das Symbol der Liebe. Davon wäre ein schlichtes rotes Quadrat die höchstmögliche Abstraktion. Aber dann versteht niemand, worum es geht. Das Konzept geht nicht auf. Malt man stattdessen ein anatomisch korrektes zuckendes Herz aus Fleisch und Blut, ist das so widerlich, dass dabei kein Mensch an Liebe denken würde. Irgendwo zwischen dem abstrakten roten Quadrat und dem blutigen Organ befindet sich diese grafische Herzform, die beide Versionen in sich vereint und die Idee, das Konzept perfekt rüberbringt.“
Die Einstiegsdroge ist nicht das Erschaffen, sondern das Erleben von Kunst
„Wir können dich nicht nur am Zeichentisch zeigen“, wirft der Regisseur des Doku-Porträts ein. „Die Leute wollen sehen, wie du lebst.“ Doch Christoph Niemann ist nicht bereit, sich in seinem Alltag zu zeigen. Beim Zähneputzen zum Beispiel. Eine Kamera im Bad wäre ihm extrem unangenehm. Das würde bestimmt sehr gequält wirken und er könne sich nicht vorstellen, dass irgendjemand das sehen wolle. „Keiner ist an Authentizität interessiert. Ich würde es lieber zeichnen als zeigen“, gibt er zurück. „Alles Wichtige passiert zwischen 9 und 18:00 Uhr. Was sonst? Aber ich hocke nicht nur im Studio, sondern gehe zum Beispiel auch ins Museum. Die Einstiegsdroge ist nicht das Erschaffen, sondern das Erleben von Kunst. Kunst erklärt einem die Welt. Im Idealfall stellt sie sie auf den Kopf und dazu muss man nur ein paar Pinselstriche auf einer Leinwand betrachten. Das ist mein Nervenkitzel. Wenn das schon so toll ist, muss es unglaublich sein, selbst Kunst zu erschaffen. So landet man im Kunststudium.“
Nach dem Studium ist vor New York
Niemann hat schon als Kind viel gezeichnet. Bewegungen und Proportionen waren ihm besonders wichtig. Seine Zeichnungen waren sehr dynamisch. Irgendwann wollte er ein hyperrealistisches Bild malen können und gerade auch mit dieser Einstellung hatte er dann sein Studium begonnen.
Er hatte einen sehr schwierigen Professor, Heinz Edelmann, Art Director des Beatles-Films „Yellow Submarine“. Ein fantastischer Illustrator und Grafiker soll er gewesen sein, aber, „Ermutigung war nicht sein Stil“, erklärt Christoph Niemann mit einem Augenzwinkern. „Das höchste Lob, das man sich erhoffen konnte, war, >daran habe ich nichts auszusetzen.< Heinz Edelmann ließ mich deutlich spüren, dass er von meiner Arbeit überhaupt nichts hielt.“ Niemann erstellte während seines Studiums Hunderte Skizzen im DIN A4 Format und wenn sein Professor sie einmal die Woche durchblätterte, sagte er immer nur „Nein, nein, nein, nein… Okay, das hier geht.“
Christoph Niemann war ein in Deutschland kaum wahrgenommener Illustrator, der erst in den USA Erfolge feierte. 1997, nach dem Diplom, zog er also nach New York. „Ich habe gedacht, jetzt versuch’ ich es einfach. Ich habe nichts zu verlieren. Ich hatte keine Wohnung. Ich hatte keine Bindung, nichts, was ich jetzt in irgendeiner Form hätte aufgeben müssen. Nach dem Diplom ist einfach der beste Moment im Leben, wo man auch diesen Enthusiasmus hat und diese Schmerzfreiheit, einfach loszugehen und zu sagen: >Jetzt gucken wir mal, was passiert.< New York war die erste Stadt, in die ich allein gereist bin. Ich bin davon überzeugt, dass man im Leben nur einmal in eine fremde Stadt kommt und sie erobert. Da waren keine Verwandten, die mir den Weg geebnet hätten, es war meine Stadt. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dort verstanden zu werden. Ich hatte meine Mappe dabei, die ich nie für Amerika geplant hatte. Das war mein deutsches Diplom, das ich an einer deutschen Kunsthochschule potenziell für deutsche Werbeagenturen gemacht hatte. Aber 98 Prozent der Bilder wurden von den Leuten in den USA verstanden.“ Dort hat er auch vieles wiedererkannt, weil er mit der amerikanischen Kultur aufgewachsen ist. Mit der Musik, der Kunst, der TV-Serie Magnum. Für ihn speist sich sein Stil aus der Kultur, aus gemeinsamen menschlichen Erfahrungen. Das findet er interessanter, als sich eine visionäre, neue Formensprache auszudenken, die die Leute erst entziffern müssen.
„Es gibt eine Starbucks Filiale, in der ich mich immer noch, wenn ich die Stadt besuche, unheimlich gerne ans Fenster setze. Ich gehe dorthin, seit ich zum ersten Mal in New York war und dachte, das ist mein Platz, da will ich sitzen.“ Man sieht Christoph Niemann an einem Platz hinter dem Fensterglas sitzen und nach draußen schauen. Beobachtend. „Ich habe ein paar Mal versucht, dort zu arbeiten. Ich als Künstler, der mit der Stadt im Einklang steht und sich emotional mit den Passanten austauscht. Es funktioniert nicht. Es hilft mir null bei der Arbeit. Im Gegenteil, ich kann mich nicht konzentrieren. Irgendwann wurde mir bewusst, dass mein Privatleben und mein Arbeitsleben nicht zusammengehen.“
Anfangs arbeitete Niemann immer unter Zeitdruck. Müsste er die ersten zehn Jahre seiner Karriere prozentual beschreiben, dann bestanden laut seiner Aussage 30 % aus „Christoph soll uns etwas Schönes zu diesem Thema zeichnen“ und 70 % aus „Oh nein, etwas ist schrecklich schiefgegangen, wir haben nur noch zwölf Stunden Zeit. Rufen wir Christoph an, der kann uns schnell etwas kritzeln, damit wir uns nicht vollkommen blamieren.“
„Wir Profis gehen morgens zur Arbeit und legen los.“
„Ich liebe diese Spannung, vor allem im Journalismus“, erklärt er, „aber am Anfang habe ich viele Aufträge aus Verzweiflung erhalten. Ich glaube, Inspiration ist was für Amateure. >Wir Profis gehen morgens zur Arbeit und legen los.< dieses Zitat gefällt mir so gut, weil es einen sehr entlastet. Man muss nicht stundenlang auf Inspiration warten. Entweder es passiert etwas Wunderbares oder eben nicht. Entscheidend ist, dass man es überhaupt erst zulässt. Und dafür muss man sich hinsetzen, zeichnen, Entscheidungen treffen und optimistisch bleiben. Es ist schrecklich, wenn man nur 30 Minuten Zeit hat, aber gerade deshalb ist es wichtig, eine Methode zu entwickeln, auf Knopfdruck ansehnliche Ergebnisse zu erzielen. Nur so kann man überleben, wenn man sich auf sein Handwerk verlassen kann. Aber es ist riskant, das Handwerkliche und den Fleiß zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Man läuft dann Gefahr, die wirklich wichtigen Fragen zu ignorieren.“
New York ist zwar nach wie vor der beste Arbeitsort für ihn. Aber schwierig, um kreative Energie zu tanken. Es fiel ihm dort schwer, sich neu zu erfinden. Ihm wurde klar, dass er loslassen musste, wenn er wachsen wollte. Seiner Meinung nach ist die Stadt voller verrückter Galerien, die wirtschaftlich gesehen mit dem Selbstmord flirten. Niemann sagt, die Leute in Deutschland ticken ganz anders. In Berlin sei die Machbarkeit einer Idee eher nebensächlich. Hier begann er seine intensivste Schaffensphase.
Immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, um magische Momente zu schaffen
In seiner Arbeit erschafft er Informationen, meistens Bilder, die mit dem Vorwissen der Betrachter* spielen. Ihre und seine Erfahrungen treffen sich darin. Die größte Gefahr der Routine besteht darin, dass irgendwann alles gleich aussieht. Darum versucht er ständig, neue Möglichkeiten zu finden, an seine Arbeit und ans Geschichtenerzählen heranzugehen. Das Publikum verändert sich ständig, genau wie er. „Mit 12 habe ich jonglieren gelernt. Ein Ball ist immer in der Luft und ich hasse es, keine Kontrolle über etwas zu haben. Aber wenn man den Dingen freien Lauf lässt, ergeben sich neue Möglichkeiten. Inzwischen fällt es mir wirklich schwer (das Jonglieren), aber so entstehen magische Momente.“
Sunday Sketches: Christoph Niemann hat ein Instagram Projekt mit dem Namen „Sunday Sketches.“ Da wird ein Tintenfass zur Kamera, eine Mohnsemmel zum stoppeligen Morgenbart, der Abdruck eines Kaffeebechers auf einer Serviette zum Auslöser für eine Liebesgeschichte. Oft sind es nur ganz kleine Veränderungen, die nötig sind, um aus einem Gegenstand eine ganze Geschichte werden zu lassen, es sind Chiffren, Codes, ein kurzes Hin-und-Her, ein Umdeuten des Gewohnten (Zitat zur Ausstellung „Im Auge des Betrachters“, vom 9.11.18 – 5.5.19 im Münchener Literaturhaus).
Immer wieder testet er hier die Grenzen der noch lesbaren Abstraktion. Das Projekt ist einerseits, laut eigener Aussage, eine seiner besten Ideen, am Feedback gemessen, aber andererseits auch eine der Nutzlosesten. „Ich kann den Prozess kaum kontrollieren. Bei meiner Arbeit ist Kontrolle wichtig, damit ich optimieren, anpassen und planen kann. Diese Zeichnungen sind nicht planbar. Die besten Sachen entstehen, wenn ich Dinge anstarre. Wenn ich zum Beispiel eine Lampe verrücke und plötzlich ein bestimmter Schatten entsteht, passiert etwas. So etwas kann man nicht vorbereiten. In der Kunst erschafft man keine künstlichen Welten. Man geht von Dingen aus, die man kennt. Und zerlegt sie in ihre Bestandteile. Wenn man diese Bestandteile neu anordnet, hat man plötzlich ein Statement. Man braucht dafür keine Monster oder Drachen, sondern nur einen Bleistift. Ich komme aus der Printbranche und dachte früher, dass Illustrationen nie verschwinden werden. Sie sind unverzichtbar und irgendjemand muss sie zeichnen. Hat man erst einmal Fuß gefasst, hat man ausgesorgt. Aber plötzlich kam alles anders.“
Schöpferischer Akt ohne Deadline im Nacken
Ihm ist auch klar geworden, dass Spontaneität notwendig ist. Frei und kreativ sein macht er ganz bewusst außerhalb der Arbeitszeit, weil er weiß, dass es unter Zeitdruck nicht funktioniert, einfach ein Blatt Papier vor sich zu haben und furchtlos irgendetwas zu machen.
Manchmal kommt er auf Ideen, die ihm keine Ruhe lassen. Auf solche Geistesblitze ist er angewiesen. Sie können nur entstehen, wenn er sich locker macht, ohne eine Deadline im Nacken zu haben, in einem schöpferischen Akt, bei dem man sich keine Gedanken um das Ergebnis machen muss.
Bisher hat er noch nie bei einem wichtigen Auftrag etwas Neues ausprobiert. Und er stellt fest: „Es hat nichts mit Bescheidenheit zu tun, wenn ich sage, dass ich nicht talentiert genug bin. Ich bin mir schmerzlich der Tatsache bewusst, dass ich nicht gut genug bin, um etwas auf Knopfdruck zu tun. Eigentlich heißt es ja, dass Erfolgserlebnisse das Selbstvertrauen stärken. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es bei Ideen genau umgekehrt ist. Mit jeder guten Idee wird es schwieriger, weil man diesen Erfolg kaum wiederholen kann. Wiederholen schon, aber es ist quälend, wenn man befürchtet, dass man nicht gut genug ist oder dass einem die Ideen ausgehen. Ein glücklicher Moment wird zur Messlatte und damit quält man sich nur. Wenn man vor drei Jahren eine geniale Idee hatte und der Kunde jetzt wieder eine von einem erwartet, das ist so, als würde man von jemandem verlangen, im Lotto zu gewinnen, unter Druck, mit vorgehaltener Pistole. Als ich mir das bewusst gemacht habe, wurde mir klar, dass ich unglücklich war. Irgendwann merkte ich, dass meine Ängste meine Arbeit zu beeinträchtigen drohten, und so beschloss ich, mich ihnen zu stellen.“
Eine alte Geschichte auf eine neue Weise erzählen
„Man sagt ja, >entspann dich, mach dir nicht so viel Druck!< Ich sehe das ganz anders. Man muss üben, um besser zu werden. Sportler und Musiker üben täglich. Warum sollten Künstler das nicht auch tun? In der Popmusik geht es nicht darum, neue Geschichten zu erzählen, sondern darum, eine alte Geschichte auf eine neue und interessante Weise zu erzählen. Man kauft Popsongs nicht, weil davor niemand darauf gekommen ist, über die Liebe zu schreiben. Es gibt seit über 500 Jahren Liebeslieder. Das Ziel ist, etwas so zu verändern, dass man denkt, bis jetzt hat es niemand so auf den Punkt gebracht. Ich verwende gern altbekannte Szenen, die ich so verändere, dass sie komplett anders, neu und authentisch wirken.
Im Idealfall feiert Design die Welt. Wenn ich ein Kunstwerk sehe, das meine Ängste und Hoffnungen widerspiegelt, wenn ich sagen kann, dass mir dank einer Zeichnung bewusst geworden ist, dass ich am Leben bin, meine Mitmenschen liebe oder dass ich Angst habe.“
Und wir wiederum feiern hiermit auch ein bisschen den außergewöhnlichen Bild-Erzähler Christoph Niemann.
„Mir gefällt die Idee, im Zeitalter des Internets das zu machen, was früher der zeichnende Schriftsteller gemacht hat: einen Ort erkunden, die Beobachtungen festhalten und dadurch eine Geschichte erzählen.“ – Christoph Niemann
Seine berühmtesten Arbeiten
Christoph Niemanns berühmteste Arbeiten und narrative Serien sind „Photodrawings“ und „Sunday Sketches“, „Abstract City“ und „Souvenir“, sowie zahlreiche bisher unveröffentlichte Werke. Aquarelle und Zeichnungen, Fotoarbeiten und Siebdrucke, Pixel-Illustrationen und Virtual-Reality-Animationen. Immer wieder findet er neue Formen des künstlerischen Ausdrucks. 2012 entwarf er für die Deutsche Post eine Briefmarke (MI-Nr. 2932). 2018 gestaltete er eine Bildserie für die Deutsche Oper Berlin und schuf das Wandmosaik „Wannsee“ für den Fußgängertunnel im Bahnhof Berlin-Wannsee.
Ausstellungen Auswahl
SOLO EXHIBITIONS
Upcoming Horst Janssen Museum, Oldenburg
2023 BITTELvonJENISCH Galerie, Hamburg
2022 Galerie Kicken, Berlin
2022 Gallerie D’Italia, Vicenza
2021/2022 Geistesblüten, Berlin
2020 National Museum of Contemporary Art, Bucharest
2019 Geistesblüten, Berlin
2019 Schloss Bonndorf, Bonndorf
2018/19 Deutsche Oper, Berlin
2019 Literaturhaus, Munich
2018 ZieherSmith Gallery, New York
2017 Galerie Max Hetzler, Berlin
2017 SVA Gallery, New York
2017 Galerie Stihl, Waiblingen
2017 Cartoon Museum, Basel
2017 Colette, Paris
2016 Museum for Art and Design (MKG), Hamburg
2015 Museum of Applied Arts (MAK), Vienna
2015 Galerie Max Hetzler, Berlin
2014 Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt
2014 Mercator Institute, Berlin
2013 Galerie Max Hetzler, Berlin
2013 Galerie der Stadt Backnang, Backnang, Germany
2010 NLB Galerija, Ljubljana, Slovenia
2005 Gallery Nine, New York Times, New York
2000 Galerie Le Lys, Paris
Kunstmessen Auswahl
ART FAIRS (selection)
2023 Art Düsseldorf, Düsseldorf, Galerie Kicken
2022 Amtsalon, Berlin, Galerie Kicken
2022 Miss Read, Berlin Book Fair
2021 Amtsalon, Berlin, Galerie Kicken
2021 Paris Photo, Paris, Galerie Kicken
2019 CADAF, Miami, Praise Shadows Art (Quelle: www.christophniemann.com)