kmkb - Regisseurin Jane Campion - Scheitern inklusive

Scheitern inklusive – Ein Portrait der Regisseurin Jane Campion

31/03/2023

Kennen Sie Jane Campion?

Foto: arte.tv; alamy.com

Im Rahmen des Frauentags zeigte arte.tv den Film “Ein Engel an meiner Tafel” von Jane Campion.

Nichts über sie wissend, wurde ich neugierig, als meine Partnerin schwärmte “… der Film ist Kult, das war meine Zeit in den 90er Jahren”. Ich kannte keinen ihrer Filme, so dachte ich jedenfalls und war entschlossen, meiner Unwissenheit ein Ende zu setzen. Wie mit dem Wunsch, ein fremdes Land zu bereisen, begann ich den Filmabend voller Neugier.

Die Handlung des Films ist schnell erzählt. Drei Schauspielerinnen zeigen Janet Frame, eine Außenseiterin, bei der Schizophrenie diagnostiziert wird. Mit den immer gleichen roten lockigen Haaren stehen sie für die verschiedenen Lebensphasen einer Frau, die Schwierigkeiten hat, außerhalb ihrer Familie ihren Platz zu finden. Janets sinnliche Welt des ländlichen Neuseelands mit seinen Schmetterlingen, Bachläufen und Obstbäumen lässt sich nur schwer in Einklang mit den gesellschaftlichen Konventionen der 40er und 50er Jahre bringen. Sie findet schon früh in Poesie und Literatur einen Resonanzraum und in ihrem Lehrer einen Unterstützer. Jedoch lässt sie sich überzeugen, sich in die Psychiatrie einzuweisen. Nur das öffentliche Interesse an ihren Publikationen und letzten Endes eine Preisverleihung retteten sie vor der Lobotomie. Nach acht Jahren, endlich aus der Anstalt entlassen, konnte sie sich ihrer Leidenschaft widmen: der Literatur. Sie schreibt als junge Erwachsene ein Buch. Als sie 1956 mit einem Stipendium durch Europa reist und den Beatniks begegnet, sind diese erstaunt, dass sie im Gegensatz zu ihnen schon veröffentlicht hat, sowohl ihr Erstlingswerk als auch Artikel in Zeitschriften. Die Überraschung war nicht ganz unbegründet, war Janet in ihrer Erscheinung kein Sinnbild einer erfolgreichen Poetin. Ihre Selbstzweifel und die Unkenntnis gesellschaftlicher Konventionen im zwischenmenschlichen Umgang ließen ihre Mitmenschen mit Befremden auf sie reagieren.

Janet Frame, eine neuseeländische Nationalheldin der Literatur, wird in „Ein Engel an meiner Tafel“ von Jane Campion mit Feingefühl für die durchaus komischen Geschichten ihres Schicksals und einer ungewohnten, frischen und für Campion typischen Bildsprache, die sich immer wieder aufs Neue aufregender Kameraeinstellungen bedient, liebevoll abgebildet. Ich war berührt!

Nun fiel mir auch wieder ein, dass ich in den 90ern “Das Piano”, ein Film, mit dem Campion die Goldene Palme und einen Oscar gewann, durchaus mit einem Gefühl der Ablehnung verband. Die den Film durchgängig dramatisierende Musik von Michael Nyman (in München mit den Philharmonikern produziert), die unerfüllte künstlerische Leidenschaft von Ada (Holly Hunter), einer stummen Pianistin, sowie ihre Ambivalenz in den Beziehungen zu ihrem gefühllosen Ehemann (Sam Neill als Alisdair Stewart) und seinem, den Maori zugewandten Geschäftsfreund (Harvey Keitel als George Baines), war nur schwer auszuhalten. Die eindringliche, gewaltige Naturdarstellung Neuseelands spiegelt sich kontraststark in den Beziehungen der Geschlechter untereinander. Männer werden teils roh, gewalttätig in Sprache und Haltung, einer durch Klassen- und Standeszugehörigkeit des 19. Jahrhunderts geprägten Gesellschaft abgebildet. Die Pianistin, Ada McGrath, stumm – ihre Stimme nehmen wir nur erzählend aus dem Off wahr, bildet mit ihrer Tochter (Anna Paquin, Oscar für die beste Nebendarstellerin) eine verschworene Gemeinschaft, deren Bindeglied die Musik, Blindensprache, Familienbande und auf der Meta-Ebene das Weibliche ist. Die sphärische, repetitive Musik Nymans als Erweiterung der bildlichen Darstellung, öffnet in diesem Film neue Dimensionen der in den 90er Jahren etablierten Filmsprache. Sie ist der emotionale Schwingungsraum, in dem alles resoniert: Lebendigkeit, Verbundenheit, Ganzheit, Liebe und Hoffnung. „Da Ada nicht sprechen kann, kommt der Klaviermusik eine weitaus wichtigere als ihre übliche expressive Funktion zu – sie wird zum Ersatz ihrer Stimme. Der Klang des Klaviers wird zum Ausdruck ihres Charakters, ihrer Stimmungen, ihrer Mimik, ihrer unausgesprochenen Dialoge.“ (Jane Campion: Das Piano (Filmbuch). Wilhelm Heyne Verlag, 1994, S. 125. – Zitat Nyman)

Was ist es, was die Filme von Jane Campion ausmacht?

kmkb - Jane Campion bei ihrer Ankunft zur britischen Premiere von "The Power of the Dog" in der Royal Festival Hall in London während des BFI London Film Festival

London, GB. 11. Oktober 2021. Jane Campion bei ihrer Ankunft zur britischen Premiere von “The Power of the Dog” in der Royal Festival Hall in London während des BFI London Film Festival
Foto: Matt Crossick/Empics/Alamy Live News

„Als ich als Frau in der Filmschule begann Filme zu machen, wollten alle Jungen Spielfilme oder Abenteuergeschichten drehen. Ich wollte nicht mit ihnen konkurrieren. Ich wollte Geschichten erzählen, von denen Sie keine Ahnung hatten. Die so privat waren, dass sie sie sich nicht mal vorstellen konnten. So persönlich, dass es keine Konkurrenz geben konnte, denn niemand anderes konnte sich das ausdenken, das waren meine Ideen.“ (Jane Campion – arte.tv – „Jane Campion – Ein anderes Kino“). Und so erzählt Jane Campion oft Geschichten von Mädchen und Frauen. Es hat immer etwas mit Jane Campions Leben zu tun. Sie sagt im Rahmen eines Interviews zu “Bright Star”, einem Film über John Keats, der aus der Perspektive von Fanny Brawnes Briefe erzählt: “Ich war gerührt von der Unschuld und Zartheit der Geschichte. Es war etwas, das ich in meinem Leben brauchte”. Die unerfüllte Liebe, die Herzverbindung der Liebenden, die ihren Ausdruck in einem poetischen Briefwechsel fand, inspirierten sie, die Tragödie zu erzählen.

Die Freiheit des Ausdrucks

Vielleicht hat ihr Erfolg mit ihrer starken Hingabe und der Entscheidung zu tun, Film als Instrument persönlichen Ausdrucks zu begreifen. Statt nur von Möglichkeiten zu träumen, 100% zu geben, sich auszuprobieren, auch auf das Risiko hin zu scheitern: “Ich beschloss mich komplett zu offenbaren. Ich wollte es ausprobieren, auch wenn ich scheitern sollte. Jedes Resultat wäre gut.” So ihr früher Entschluss während ihrer Studienjahre an der „Australian Film, Television and Radio School (arte.tv – „Jane Campion – Ein anderes Kino“). Diese Unabhängigkeit von der Aufmerksamkeit der Lehrer*, bzw. deren Bewertungen, erlaubte es ihr, „frei“ von etablierten filmischen Erzählformen eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Für die grundlegenden Formen des Mainstream-Styles hatte sie nichts übrig. „Establishing Shots“ z.B. als Kamera-Einstellungen bzw. als Teil der Erzählform, die eine Person, ein Objekt, oder ein Thema einführen, waren ihr zuwider (criterioncollection – A Clip from Observations on Film Art: Withholding and Revealing in „An Angel at my Table“). Neue, für ihre Zeit ungewohnte Stilmittel, sind in jedem ihrer Filme zu finden.
So erwartete sie auch nichts, als sie mit ihrem Kurzfilm, bzw. ihren Abschlussfilm “An Exercise in Discipline – Peel” 1986 nach Cannes eingeladen wurde. Sie ging an der Croisette spazieren, als sie darauf angesprochen wurde, wo sie gewesen sei, sie hätte die Goldene Palme (Sparte Kurzfilm) gewonnen. Apropos Goldene Palme – bis 1996, zum 50-jährigen Jubiläum des Preises, war Jane Campion die einzige Frau in der Geschichte des Wettbewerbs, die den Hauptpreis gewann. Es benötigte weitere 25 Jahre, bis Julia Ducournau mit “Titane” als zweite Frau die Goldene Palme 2021 gewann.

Filmtipp: Jane Campion – Ein anderes Kino auf arte.tv

artes Portrait von Jane Campion, einer Pionierin des Kinos, des radikal Empfindsamen, zeichnet ein Bild einer Filmemacherin, die konsequent und ehrlich das Kino für einen Gesellschaftsdiskurs rund um die Geschlechterrollen bietet. Sie lässt sich ein auf einen Diskurs, der schmerzt. Jane Campion weicht nicht aus, bleibt verbindlich im Kontakt. Sie schafft Raum für Ihre Protagonisten*. Diese, multidimensional in ihren Charaktereigenschaften, bieten Projektionenflächen für die Abneigungen und Vorlieben des Betrachters, spannungsreich und widersprüchlich. Was am Ende eines jeden Films übrig bleibt, ist Mitgefühl, zärtliches Mitgefühl, für das menschliche Sein, das ist, wie die gewaltige Landschaft Neuseelands, Campions Heimat.
„In ihrem vielseitigen Werk, mit dem sie nicht unbedingt gefallen will, setzte sie sich von Anfang an über Konventionen hinweg und machte radikale Sensibilität zu ihrem Markenzeichen. Von der Schockwelle, die Campion 1989 auf der Croisette mit ihrem ersten Spielfilm „Sweetie“ auslöste, über die kultige TV-Miniserie „Top of the Lake“ (2013, 2017) bis zu dem 2022 mit dem Oscar für die beste Regie ausgezeichneten Filmdrama „The Power of the Dog“ wartet Jane Campion immer wieder mit Neuerungen auf. Julie Bertuccelli zeigt, wie Jane Campion in ihren bisher 40 Berufsjahren zur Pionierin wurde: Von unermüdlicher Neugier getrieben, erfand sie neue Formen des Filmemachens und bahnte anderen Frauen in der Filmbranche den Weg. Mit ihrer einzigartigen Fantasiewelt und Bildsprache eröffnete sie dem Gegenwartskino neue Perspektiven.“ – (arte.tv – „Jane Campion – Ein anderes Kino“)

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