Sylvia John – Kunst im Schaufenster
Ab Anfang März wird die in Berlin lebende Fotografin und Autorin Sylvia John für sechs Wochen eine Auswahl ihrer experimentellen Glitchfotografien in unseren Schaufenstern in der Blutenburgstr. 17, in München ausstellen. Werke, die aus Fotomaterial entstanden sind, das sie, wie sie selbst sagt, „versuchsweise durch den digitalen Fleischwolf drehte“.
Der Zufall als Lebensallegorie
Sylvia John fotografierte Fenster, Stühle als Familienaufstellung, Schrottplätze und Müll, Innenräume, Architektur. Zudem filmt sie Kurzvideos und praktiziert „analoge Langzeitbelichtung.“
In den letzten drei Jahren experimentierte sie dann mit Glitchfotografie (Glitch).
Hier bearbeitete sie Fotomaterial/Screenshots, die sie versuchsweise durch einen, wie sie sagt „digitalen Fleischwolf“ drehte.
Dabei, erklärt Sylvia John, wurde und wird sie immer noch durch den Zufall auf Abwege geführt:
„In meinen früheren Arbeiten der analogen Langzeitbelichtung und auch jetzt vertraue ich gern dem Zufall. Das ermöglicht mir eine andere Erfahrungsebene, worüber ich auch geschrieben habe. Der Zufall als Lebensallegorie beschäftigt mich bei all meinen Arbeiten. Mich interessiert der Zustand zwischen Unberechenbarkeit und gelenkter Erforschung als offener Ort.
Man könnte den Beginn dieser Art Fotografie auch als ein Spiel betrachten.“
„In meinem Fall ergebnisoffen. Mögliche historische Vorläufer könnten Collagen und Montagen sein, dennoch findet bei Glitchfotografie eine Transformation oder Auflösung; als Fehlerästhetik in einen anderen Zustand statt. Transformation steht im Zusammenhang mit vorangegangener Diskrepanz, Abspaltung oder Grenzerfahrung. Mir ging es darum, Bildnarrative aufzulösen.“
Anmerkung der Redaktion: Die Verfremdung durch bewusste Veränderungen oder Störungen in der Glitch-Fotografie oder auch Glitch-Art, kann zum Beispiel durch das Einfügen von digitalem Rauschen, Datendegradation, Verzerrungen oder anderen Formen der Manipulation erfolgen. Der Zweck der Glitch-Fotografie ist es oft, visuelle Effekte zu erzeugen, die traditionelle Vorstellungen von Ästhetik herausfordern und neue Formen der Kreativität und des Ausdrucks ermöglichen.
So entstanden bei Sylvia John beim Experimentieren mit dieser Technik zahlreiche unterschiedliche Ergebnisse: Muster, die Rohrschachttests ähneln, amorphe Figuren, zerfaserte Architektur, mysteriöse Settings, Antilandschaften und Bilder, die an Genremalerei erinnern.
Sylvia John fotografiert und schreibt in Berlin.
Sie machte ihr Filmdiplom an der Filmuniversität Potsdam Babelsberg, veröffentlichte Essays und Prosa in diversen Zeitschriften wie Junge Welt, Freitag oder Junge Akademie der Wissenschaften Berlin Brandenburg, hatte ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin, ein Arbeitsstipendium der Stiftung Kulturfonds Berlin für Bildende Kunst und Videoarbeit, sowie ein Alfred Döblin Stipendium der Akademie der Künste Berlin in Wewelsfleth.
Als Autorin hat sie über den US-amerikanischen Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace geschrieben, der durch seinen 1996 veröffentlichten Roman „Infinite Jest“ („Unendlicher Spaß“) bekannt wurde. Außerdem schrieb sie über Symmetrie, Filme und analoge Langzeitbelichtung. Letzteres praktiziert sie, wie bereits erwähnt, weiterhin. Die fotografischen Arbeiten sind meist seriell.
Warum „Langzeitbelichtung“?
„Langzeitbelichtung speichert (Film)-Prozesse auf nur einem Foto“, sagt Sylvia John. „Seltsamerweise findet sich in der Unschärfe eines Bewegungsablaufes, Porträts etc., eben keine flüchtige Beliebigkeit, weil die Technik eine kontemplative Tür öffnet; zum Wesen vordringt, die Essenz, Atmosphäre eines Ortes, den Geist einer Situation oder Aura (Barthes) sichtbar macht.
Sehen und Begreifen. Innere Bilder entstehen oder Nachbilder (mentale Bilder). Die Metameditation über Fotografie ähnelt dem Akt des Schreibens; es gibt Autoren, die schreiben und Autoren, die schreiben über das Schreiben (wie zum Beispiel David Foster Wallace, David Markson).“
Im Moment beschäftigen sie vor allem anthropologische Zusammenhänge; vom Beginn der Zentralperspektive im Bild, Symmetrie und Framing.
Zu guter Letzt schließt Sylvia John mit einem Zitat des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein: „Ja kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen?“
Wenn Sie mehr von Sylvia Johns Arbeit sehen möchten, finden Sie sie nicht nur in unseren Schaufenstern, sondern auch hier auf Instagram: sylviajohn_foto
Vielen Dank!