kmkb - Künstliche Intelligenz und Architektur

(Künstliche) Intelligenz & Architektur

14/06/2023

Über Potenziale, Herausforderungen und Risiken von Künstlicher Intelligenz im Bereich Architektur

Eine Zwischenbilanz

Ein Gastbeitrag von Luis Michal, Autor/Gestalter, Studio Architektur & Grafik, München

Interviews mit (zeitlich unabhängig voneinander im März und April 2023 geführt):

Peter Haimerl (PH), Peter Haimerl Architektur, München
Prof. Dr. Frank Petzold (FP), Nick Förster (NF), Lehrstuhl für Architekturinformatik, TU München
Martin Schnitzer (MS), Geschäftsführer Schnitzer& GmbH, Graphisoft Center, München

Künstliche Intelligenz (Abkürzung dt.: KI) mit Hilfe von Maschinen und Computern zu erzeugen, ist längst keine neue Idee und wird bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts diskutiert. In der jüngeren Vergangenheit jedoch macht die Technologie große Entwicklungssprünge und hat auch über ein Fachpublikum hinaus das Potenzial, den Alltag einer breiten Öffentlichkeit durch niederschwellige Angebote wie den Textgenerator ChatGPT wesentlich zu verändern. Währenddessen nehmen prominente Stimmen aus der Technologiebranche zu, die vor den unschätzbaren Risiken der Technologie warnen[1].

Auch das Architekturwesen ist eng verbunden mit technologischen Entwicklungen im IT-Bereich, längst haben sich Computer von reinen Zeichengehilfen zu „Design-Partnern“ entwickelt, was Effizienz und Genauigkeit gesteigert hat, jedoch nicht unbedingt immer mit einer Zunahme der Qualität der gebauten Umwelt einherging[2]. Technologien, die sich „Künstliche Intelligenz“ zunutze machen, finden auch im Architekturbereich zunehmend Einzug in bestehende Software oder werden als Entwurfswerkzeuge neu entdeckt und bereits angewendet.

Im Folgenden soll eine „Zwischenbilanz“ zu dem medial aufgeladenen Thema „Künstliche Intelligenz“ und im Besonderen im Kontext der Disziplin Architektur gezogen werden. Dafür wurden drei Protagonisten aus der Architektur-Praxis (Peter Haimerl Architektur, München), der Architektursoftware-Branche (Martin Schnitzer, Schnitzer& GmbH, Graphisoft Center, München) sowie der Forschung (Prof. Dr. Frank Petzold, Nick Förster, Lehrstuhl für Architekturinformatik, TU München) zu Ihrer Meinung zu Potenzialen, Herausforderungen und Risiken von KI und Ausblick auf die Architektur der nächsten Jahrzehnte befragt, um sich dem komplexen, da in großer Dynamik befindlichen Thema von verschiedenen Perspektiven zu nähern.

Was bedeutet für Sie (künstliche) Intelligenz im Kontext von Architektur? Was braucht es, um gute Architektur zu machen?

MS: Intelligenz im Kontext von Architektur bedeutet aus meiner Sicht die Berücksichtigung der vielen Bedingungen, die bei der Gestaltung und Realisierung von Gebäuden, (öffentlichen) Räumen und Strukturen eine Rolle spielen, wobei der Einsatz von intelligenter Software nützlich und notwendig sein kann. Intelligenz ist hier deswegen gefragt, weil es in der Architektur darum geht, nicht nur technische, sondern auch soziale, gestalterische und gesellschaftliche Aspekte in Einklang zu bringen und sich mit Themen wie Klimawandel, Biodiversität und dem Umgang mit unserer Umwelt auseinanderzusetzen. Dieser Herausforderung gerecht zu werden, erfordert ein hohes Maß an Intelligenz.

PH: Ich glaube, dass sich Intelligenz in der Architektur im Wesentlichen aus zwei Dingen zusammensetzt. Erstens aus einer „äußeren“, also historischen Intelligenz, die sich in Form von Gebäuden bereits gebildet hat und ständig weiterwächst. Dazu gehören z.B. Städte als lebendige, autokreative Mechanismen ebenso wie auch Häuser, die allgemeines Wissen sammeln und dann individuell in Form von z.B. Konstruktion, Stilistik oder ortsgebundene Techniken ausdrücken. Dazu kommt dann die persönliche Komponente von Architekten*, die jeweils anders mit diesem bereits angelegten Wissen umgehen und dabei auf ganz eigene Erfahrungsschätze, Wissen und Ansätze zurückgreifen. So geht es bei der Entstehung von Architektur darum, wie man diese zwei Aspekte kombiniert und daraus ein Gebäude, dass am Schluss eine Form entsteht.

FP: Ich habe diese Frage ChatGPT gestellt und dessen Antwort war: „Intelligenz im Kontext der Architektur bezieht sich auf die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen und kreative Ideen zu entwickeln, innovative Lösungen zu finden. Architektur ist ein multidisziplinäres Fachgebiet, das eine Vielzahl von Fähigkeiten erfordert, darunter technisches Wissen, kreatives Denken, räumliches Vorstellungsvermögen, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Verständnis für einen sozialen und kulturellen Kontext. Um gute Architektur zu schaffen, braucht es ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Kenntnissen, die man ästhetisch in ein Konzept bringen muss.“

Hier hat mich ChatGPT tatsächlich verblüfft, was ein solches Sprachmodell bereits leistet und wie es uns dabei unterstützen kann, plötzlich mehr Zeit für andere Dinge zu haben. Hier werden wir zum Moderator*, der die richtigen Fragen und das Ganze im Anschluss evaluieren muss. Wie nun daraus „gute Architektur“ entsteht, finde ich schwierig zu sagen, denn es gibt ja nicht immer die eine Lösung, sondern meist die Balance von unterschiedlichen Kriterien, hier stimme ich in vielen Sätzen mit ChatGPT überein.

Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte zum Thema Künstliche Intelligenz? Wie erleben Sie die aktuellen Entwicklungen der Technologie?

MS: Ich finde das durchaus interessant, auch weil ich glaube, dass es zu gewissen Teilen einfach sinnvoll ist. Das, was wir im Moment beobachten, ist eine sog. „schwache KI“, bei der eine große Wissensbasis, die durch das Internet zur Verfügung steht, automatisiert durchforstet wird, um dann z.B. Texte besser zu formulieren oder Bilder zu generieren. Ob diese Ergebnisse dann plausibel klingen oder einen Faktencheck standhalten, steht auf einem anderen Blatt. Wenn man z.B. in die Wissenschaft schaut, ist das ein ständiges Aushandeln von Positionen, Vermutungen und Fakten und da erwarte ich von KI noch nicht, dass sie hier die „Wahrheit“ liefert. Bei der Verwendung des Begriffes „künstliche Intelligenz“ dagegen wäre ich vorsichtig und würde eher von „intelligenter Software“ sprechen. Während meines Informatikstudiums Mitte der 1980er Jahre haben wir uns auch schon mit sog. Expertensystemen zur Objekterkennung beschäftigt, aber auch das war damals schon mit einem Fragezeichen versehen, was diese Expertensysteme überhaupt leisten können und wo es Sinn macht, sie einzusetzen.

FP: Es wird heute viel über künstliche Intelligenz gesprochen, aber das Konzept an sich ist gar nicht so neu, der Begriff wurde bereits 1956 auf einer Konferenz in Dartmouth in den USA geprägt[3]. Wenn wir heute von „Künstlicher Intelligenz“ sprechen, müssen wir genau überlegen, wovon wir sprechen: Es gibt die sog. „Symbolische KI“, die mit logischen Schlussfolgerungen und Funktionen wie „If-Then-And“-Statements (Anm. des Autors: Methoden aus der Informatik) arbeiten und schon länger im Alltag eingesetzt wird, z.B. bei der Ordnung von Informationen wie z.B. bei Suchmaschinen. Wenn man dagegen heute von „Künstlicher Intelligenz“ spricht, dann meinen die meisten „Maschinelles-“ bzw. „Deep Learning“. Hier sind im Unterschied zur symbolischen KI sehr viele Daten notwendig, die Prinzipien des menschlichen Gehirns nachbilden und über „Wichtungen“ verknüpfen. So kann der Computer aus einem sehr großen Datensatz wie Bildern lernen, wobei hier der Kontext immer noch sehr eingegrenzt ist: Man muss die jeweiligen Systeme „trainieren“, d.h. wenn man das System mit Bildern von Häusern speist, erkennt es nur Häuser, wenn man es mit Bildern von Hunden speist, erkennt es nur Hunde. Hier sind Menschen in der Lage, sich in ein Thema hineinzuarbeiten, KI ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Dabei wissen wir ebenso wenig, wie Menschen überhaupt lernen, lediglich ist klar, dass zum Lernen sehr unterschiedliche, also sowohl „gute“ als auch „schlechte“ Erfahrungen dazugehören.

PH: Ich fand Technologie immer faszinierend und habe sie in gewisser Weise wie eine zweite, parallele „Natur“ wahrgenommen. Wir haben in den 1990er Jahren bei uns im Büro angefangen, prozesshaft zu programmieren und mit Algorithmen zu arbeiten und so Architektur auf einer mathematisch-technischen Ebene erzeugt. Diese Algorithmen haben ein Eigenleben ähnlich wie Lebewesen oder Pflanzen, die man pflegt und züchtet. Der „klassische“ Architekturansatz dagegen hat mich immer irritiert: Durch die „Konstruktion“ wird lebendige Materie in so kleine Stücke zu zerlegen, bis sie kein Eigenleben mehr hat und ich sie dann als Architekt* dominieren kann. Zum Beispiel habe ich einen Baum, den ich in Balken zerschneide, die so einfach sind, dass ich sie verstehen kann. Diese Reduktion auf die rein geometrische, „einfache“ Form führt dazu, dass auch das Haus sich aus abstrakten Körpern aufbaut, die neben dem Formwillen der Architekten* kaum tiefere Inhalte aufweisen. Dass das Haus dabei genau den eigenen Anfangsvorstellungen entspricht, war für mich häufig enttäuschend und ernüchternd. Im Gegensatz dazu fasziniert mich an der Arbeit mit Algorithmen der Moment der Überraschung: Man kann sie lediglich ein bisschen „anstupsen“ und organisieren, das Ergebnis jedoch nicht vollständig kontrollieren oder nachvollziehen, genau hier beginnt für mich Architektur, zwischen Perfektion und Überraschung.

Haben Sie Künstliche Intelligenz schon konkret in Ihrem Arbeits- bzw. Lehralltag eingesetzt und wenn ja, wie?

PH: Wir hatten ein Projekt in Berlin, bei dem es darum ging, zwei Hinterhöfe eines Gründerzeitbaus zu sanieren und mit zeitgenössischen Funktionen wie Co-Working-Spaces zu füllen. Wir haben uns dann überlegt, die KI nach Möglichkeiten und Bildern zu befragen, wie wir diesen Bestand mit neuen Nutzungen belegen. Dazu hat uns dann die Maschine dann die passenden Bilder ausgeworfen und dem „eklektizistische Sammelsurium“ der Gründerzeit ein „Bild einer Zukunft“ hinzugefügt. Das fanden wir spannend, weil es genau das ist, was wir als Architekt*Innen auch machen: Wir stellen uns eine Zukunft vor, die sich aus angesammeltem Wissen aus der Vergangenheit bildet. Die KI bedient sich ebenso diesem „vergangenen Wissen“, fügt ihm aber eine „erdachte“ Ästhetik hinzu, die einerseits nachvollziehbar, andererseits doch das Ergebnis einer nicht menschlichen Maschine ist. Diese kann dabei helfen, die enormen Datenmengen und Informationsflüsse der heutigen Zeit vorzusortieren, weil sie kein Problem mit Fülle hat, im Gegenteil: Sie braucht diese Datenmengen und zeigt dabei, dass die Welt eine Welt von unendlich vielen Möglichkeiten ist, darin liegt eine große Freiheit.

FP: Zum einen gibt es bei uns in der Lehre Projekte, bei denen Studierende die Technologie erschließen, zum anderen haben wir laufende Forschungsprojekte zum Thema: Wir forschen z.B. zu KI-basierten Simulationen in den frühen Entwurfsphasen von Architektur und Städtebau, die in Echt-Zeit reagieren, wenn ich, z.B. bei städtebaulichen Lösungen eine Straßenflucht verschiebe. Weiterhin experimentieren wir mit sog. „digitalen Zwillingen“ der Stadt, bei denen mit Hilfe von KI und Datensätzen Prognosen zur Stadtentwicklung erstellt werden, so kann ich z.B. anhand der Fassade und bestimmten Merkmalen Schlüsse ziehen, welche Nutzungen, also Büro, Kommerz oder Wohnungen sich dahinter verbergen.

NF: Beispielsweise haben wir in Kooperation mit einer nordbayerischen Kleinstadt Planungs- und Partizipationstools entwickelt, bei denen KIs für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt wurden. Beispielsweise nutzten die beteiligten Studierenden Tools zur Bild- und Textgeneration, um die Ideen und Feedback von Bürgern* zu visualisieren. Hier wird die KI zu einem „spielerischen Gegenüber“, um Ideen bei Partizipationsprozessen zu explorieren und zu konkretisieren. So entsteht ein Dialog zwischen den Nutzerinnen und der Maschine. Die KI liefert nicht einen fertigen Entwurf, sondern dient als Inspiration, lässt Interpretationsspielraum offen und hilft, Ideen greifbarer zu machen.

MS: Ich glaube, dass das Thema, Wissen und Kompetenz im Umgang mit Technologie zu vermitteln, immer wichtiger wird und wir das bei Schnitzer& als eine unserer zentralen Aufgaben sehen. Die meiste Software ist schon sehr gut und intuitiv zu bedienen und hilft auch bei der Erzeugung relativ komplexer Arbeiten. Die größere Herausforderung sehe ich darin, zu vermitteln, dass sich manche bestehende Prozesse durch die Einführung neuer digitaler Technologien grundlegend ändern werden und sich nicht 1:1 aus der analogen Welt übertragen lassen. Diese Prozesse muss man gut strukturieren, dazu braucht es viele Abstimmungen und Überlegungen im Vorfeld und innerhalb eines Teams die Grundlagen, damit alle Mitglieder in etwa auf dem gleichen Wissensstand sind. Hier geht es dann nicht nur um die Software selbst, sondern darum, die Menschen für die digitale Transformation zu gewinnen, damit sie diesen Prozess auch gut bewältigen können.

Was kann Künstliche Intelligenz im Kontext von Architektur leisten, wo sehen Sie Möglichkeiten und Potenziale?

MS: Das Planen, Bauen und Bewirtschaften ist einer der am wenigsten digitalisierten Bereiche der Gesamtwirtschaft, nicht zuletzt aufgrund seiner kleinteiligen und fragmentierten Struktur. Die Wertschöpfung ist hier im Vergleich zu anderen Branchen in den letzten Jahrzehnten praktisch nicht gestiegen, deshalb ist die Digitalisierung hier ein großes Thema ist. Die Herausforderung ist dabei meines Erachtens weniger die Software, die ja schon leistungsfähig genug ist, sondern die Organisation, die Arbeitsabläufe und die Vermittlung von Wissen zu neuen digitalen Prozessen. Hier kann KI helfen, Vorschläge zu machen, wie zu Rahmenbedingungen und Standards zu informieren oder automatisch Dinge auf Basis von großen Datensätzen überprüfen zu lassen. Darüber hinaus kann man die Technologie sicher dazu nutzen, eine „gute Form“ zu finden, was ja bereits heute praktiziert wird, z.B. um eine Vielzahl von Optionen für eine Architektur oder ein Quartier unter Berücksichtigung von klimatischen Bedingungen und anderen Parametern zu generieren.

FP: Was KI machen kann, ist, Entwerfende zu unterstützen. Ich glaube, die falsche Herangehensweise ist zu sagen, wir benutzen diese neue Technologie nicht, stattdessen sollten wir uns überlegen, wo es Potenziale gibt und wie wir KI dafür einsetzen können. Wenn man die Disziplin Architektur betrachtet, hat sie im Laufe der Geschichte schon immer neue Technologien mit einbezogen, von neuen Bauweisen, neue Materialien zu neuen technischen Lösungen: Erst gab es das Zeichenbrett mit Zeichenhilfen, dann kam irgendwann das digitale Zeichnen in Form von CAD (Anm. des Autors: Computer Aided Design). Auch hier wurde schon der Untergang der Architektur proklamiert, heute ist CAD ein normales Mittel sowohl in Studium als auch Praxis. Ähnliches passiert heute mit modellbasierten BIM-Systemen (Anm. des Autors: Building Information Modeling), Entwerfende dabei unterstützen können, z.B. Aufgaben wie Fenster zählen zu automatisieren und dadurch Zeit für Entwurfsaufgaben zu gewinnen. Ebenso kann KI auch Quelle neuer Inspiration und Werkzeuge sein, und bietet meiner Meinung nach hier viele Potenziale.

PH: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem sich vieles schneller und radikaler bewegt, als es wir uns jemals vorstellen konnten. Deswegen halte ich es für möglich, dass Architekten* in bestimmten Bereichen durch KI zu ersetzen sind, z.B. wenn es darum geht, Standardlösungen in verschiedenen Variationen abzubilden. Trotzdem glaube ich, dass Architekten* weiterhin eine wichtige Rolle im Entwurfsprozess einnehmen werden, im besten Fall können Sie sich wieder auf das zurückziehen, was meiner Meinung nach den Kern von Architektur ausmacht: Raum, Materie, Atmosphäre. Vielleicht ergibt sich daraus die Chance, wirklich umfassend kreative Räume zu gestalten.

Wo sehen Sie mögliche Risiken und Schwachstellen beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz im Bereich Architektur?

PH: Im Moment kann man bei Produkten von KI betrachten, dass sie mitunter sehr fehlerbehaftet sind, was sie in einem Sinne auch so menschlich macht. Allerdings liefert die KI dabei keine Hinweise, wie sie zu dem jeweiligen Bild oder Text gekommen ist, hier stellt sich die Frage der Reparierbarkeit eines Systems, das selbst für seine Erfinder nicht mehr nachvollziehbar ist. Die Forderung prominenter Akteure* aus der Technologiebranche, die KI-Forschung für ein halbes Jahr einzufrieren, ist daher nachvollziehbar, aber unrealistisch. Stattdessen müssen wir nun unmittelbar damit beginnen, KI-Systeme besser zu verstehen und diejenigen Aspekte hervorzuheben, die für die Menschheit sinnvoll sind.

MS: Die Themen Haftung und Urheberrecht werden schon diskutiert, seit mit CAD gearbeitet wird, insofern sehe ich hier lösbare Herausforderungen: Wenn wir den Planungsprozess künftig als Datenmanagement begreifen, werden sich auch diese Themen durch Signaturen und Verschlüsselung klären lassen. Beim Thema Künstliche Intelligenz hingegen, sehe ich vor allem die Notwendigkeit, transparent zu machen, wie die Grundlagen für die erzeugten Produkte zustande kommen, was natürlich schwierig ist, wenn der Algorithmus eine Art „Black Box“ ist, in die man nicht hineinschauen kann. In diesem Sinne kann KI zwar Vorschläge generieren, aber es wird dabei jedoch weiterhin menschliche Entscheidungskraft und Kreativität brauchen. Letztendlich ist Architektur immer wieder eine Entscheidung für eine Form und ein ständiges Aushandeln zwischen verschiedenen Akteuren* auf Seiten der Architektur, der Nutzer*, der Gesellschaft, der Verwaltung, der Politik usw. und da ist sehr viel Kommunikation im Spiel. Genau das einem System zu überlassen, wird meiner Meinung nach noch lange dauern und finde ich auch nicht wünschenswert.

FP: Warum heute maschinelles Lernen oder Deep Learning so populär geworden sind, ist, weil wir heute einerseits die Daten und andererseits die Rechenpower haben, diese zu verarbeiten, was wir beides in dieser Form früher nicht hatten. Um jedoch tragfähige Systeme mit Daten zu „trainieren“ und zu evaluieren, brauchen wir nicht hunderttausend, sondern Millionen von Daten, darunter auch Dinge, die sich gar nicht richtig begründen oder quantifizieren lassen, wie z.B. die „Schönheit“ eines Raumes, was ja nicht nur mit Raum, sondern auch einer kulturellen und historischen Einordnung zu tun hat. Zwar können bereits existierende Lösungen wie Spacemaker AI/Forma (Anm. des Autors: Softwareprodukt von AutoDesk) bereits Lösungen für „perfekte“ Grundrisse, die Lagen von Wänden oder Parkplätzen anbieten, die KI kann dabei jedoch nicht auf „stilles“ Wissen von Entwerfenden, also subjektive Erlebnisse und Eindrücke zurückgreifen. Hier hat jedes Werkzeug seine Grenzen, auch der Stift und das Blatt Papier, und es benötigt Kompetenz, diese Werkzeuge entsprechend ihrer Möglichkeiten einzusetzen. Insofern sollte die Intelligenz meiner Meinung nach weiterhin vor dem Rechner sitzen, denn „Commander Data“ (Anm. des Autors: Protagonist aus der Serie Star Trek) haben wir noch nicht.

Unabhängig von Künstlicher Intelligenz, was sind Ihrer Meinung nach, die dringendsten Herausforderungen für Architektur im Allgemeinen heute?

MS: Wir haben als Gesellschaft zwei Themen, bei denen es „ums Überleben“ geht: Das eine ist der Klimawandel und das andere ist der Verlust an Biodiversität. Der Klimawandel ist technisch vielleicht noch beherrschbar, wenn wir uns anstrengen. Biodiversität dagegen kaum, denn wenn eine Art, eine Pflanze oder ein Tier verschwindet, dann ist sie weg. Mit unserem Handeln gerade in der Architektur, z.B. wie wir mit Materialien umgehen, mit Ressourcen, Flächen und Energie, tragen wir ganz erheblich dazu bei. In diesem Sinne finde ich es das Wichtigste, die Architekturproduktion entsprechend diesen Herausforderungen zu verändern, und da kann uns intelligente Software nicht retten, aber sie kann uns helfen, kluge Entscheidungen zu treffen. In der Industrie gibt es hier zum Teil schon erstaunliche Lösungen, denn natürlich haben z.B. auch Produzenten von „grauer Energie“ wie z.B. die Zementindustrie ein großes Interesse daran, als Unternehmen zu überleben. Die Frage ist nur, wofür setzen wir vorhandene Technologien ein: Um zum Mars zu fliegen, oder um die Welt zu retten?

FP: Bei der Digitalisierung stehen wir noch am Anfang, wobei besonders die Disziplin Architektur und das gesamte Bauwesen etwas „hinterherhängt“, was damit zu tun hat, dass wir hier zu kleinteilig agieren. Weiterhin empfinde ich in der Gesellschaft eine gewisse Technologie-Müdigkeit, wir sind oftmals nicht mehr affin, neue Technologien zu erschließen, sondern sagen erstmal Nein, was ich z.B. im Ausland ganz anders wahrnehme. Ich glaube eine gewisse Skepsis wie z.B. beim Datenschutz gehört dazu, jedoch sollte man hier unserer Jugend mehr Chancen geben, Technologien neu zu denken und zu prägen, z.B. das Digitale auch „digital“ zu denken und nicht alte, analoge Muster in ein neues „digitales Gewand“ zu kleiden, hier sehe ich noch viel Potenzial.

Eine weitere Frage, die wir uns stellen, ist, wie sehen urbane Strukturen in der Zukunft aus und welchen Einfluss hat hier das Digitale? Wir denken häufig noch in der „Auto-Stadt“, in der die Technologie Auto unsere Städte im letzten Jahrhundert wesentlich geprägt hat. In ähnlicher Weise erhoffe ich mir hier Impulse, das Digitale in der Stadtplanung mitzudenken, z.B. wie gehen wir mit neuen Arbeitskonzepten um, wie können wir Sensorik für Mobilitätskonzepte in Infrastrukturen implementieren, wie sehen die Innenstädte und kommerzielle Angebote der Zukunft aus?

PH: Wir erleben aktuell einen großen „Shift“ mit dem Thema Nachhaltigkeit. Ein neuer Umgang mit Energie wird global gesehen enorme Veränderungen mit sich bringen, was einen neuen Umgang mit „Materie“ erfordern wird, d.h. wir müssen uns die Frage stellen, wie werden die Städte, die Straßen der Zukunft aussehen, die bisher sehr stark von ihrer gebauten „Masse“ geprägt waren? Hier werden sich bestehende Räume vielmehr mit der digitalen Welt vermischen, die künftig einen großen Einfluss auf die „analoge“ Welt haben wird. Dadurch werden Funktions-Abhängigkeiten abgebaut und es können neue Welten mit vielfältigen Optionen entstehen. Dabei stellen sich die Fragen: Was sind die Grundlagen für diese Lebensräume der Zukunft? Kann eine künstliche Intelligenz hier Lösungsansätze finden, die wir als Menschen nicht erdenken können? Darin liegt die große Hoffnung, die wir in KI setzen.

Quellenangaben

[1] Brühl, Jannis: Tech-Elite fordert Forschungsstopp in KI-Laboren (Bezahlschranke). SZ, 29.3.2023.

[2] Michal, Luis: Der Architekt* – ein Berufsbild im Wandel. www.kmkb.de 2022.

[3] Siehe Wiki: Dartmouth Conference, (Stand 5.6.2023)

CV/Personen:

Peter Haimerl, Peter Haimerl Architektur, München (PH):

Peter Haimerl (*1961) ist ein Architekt in München. Seit den 1990er Jahren experimentiert und arbeitet er mit neuen Computer-Technologien bei er Entstehung seiner Projekte, u.a. für ein theoretisches Forschungsprojekt zum Thema Stadtentwicklung („Zoom-Town“) sowie in jüngerer Zeit bei zahlreichen, innovativen Umbauprojekten im ländlichen Raum wie das Konzerthaus Blaibach, welches ihn auch über Fachkreise hinweg bekannt gemacht hat.

Prof. Dr. Frank Petzold (FP) & Nick Förster (NF), Lehrstuhl für Architekturinformatik, TU München:

Prof. Dr. Frank Petzold (*1968) hält nach einem Studium der angewandten Informatik mit Vertiefung Architektur und Bauingenieurwesen und Promotion zur „Computergestützten Bauaufnahme“ in Weimar, seit 2009 den Lehrstuhl für Architekturinformatik an der TU München, wo er sich mit seinem Team mit Fragestellungen der informationstechnischen Unterstützung im architektonischen Entwurfsprozess auseinandersetzt. Nick Förster (*1993) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl und forscht im Rahmen seiner Dissertation “Critical Modeling – The Politics of Analytical Infrastructure“ zu Digitalen Stadtmodellen und Urban Data Platforms (nickfoerster.eu).

Martin Schnitzer, Geschäftsführer Schnitzer& GmbH, Graphisoft Center, München (MS)

Martin Schnitzer (*1957) beschäftigt sich seit seinem Informatikstudium an der TU München in den 80er Jahren mit dem Vertrieb und der Unterstützung von Architekturbüros mit Planungssoftware (ArchiCAD) und insbesondere mit den Grundlagen von Building Information Modeling (BIM) und dessen konkreter, praxisgerechter Umsetzung. Sein Unternehmen Schnitzer& engagiert sich darüber hinaus als ein wesentlicher Akteur in der bayerischen Architekturszene durch Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen für eine gelebte Bau- und Architekturkultur.

Luis Michal, Autor/Gestalter, Studio Architektur & Grafik, München:

Luis Michal (*1992) beschäftigt sich in Theorie und Praxis mit Architektur als einer gesellschaftlichen Disziplin. Nach seinem Architekturstudium an der TU München (M.A. Architektur 2018) und diversen Studienaufenthalten, u.a. in Beijing, China war er von 2020 bis 2023 in verschiedenen Büros in Berlin und München als Architekt angestellt. Seit 2023 ist er als Korrekturassistent am Lehrstuhl für Urban Design, TU München tätig sowie selbstständig beratend, schreibend und gestaltend unter „Studio Architektur & Grafik“, www.luismichal.de.

Literaturhinweise/Zum Weiterlesen:

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