Künstlerischer Beruf, Familie, Depression und Großstadtalltag – wie geht das?
11/06/2024
Ein Interview mit Natascha Heimes zu Ihrer 2022 erstmals aufgeführten Szenischen Lesung „baby, bühne und der blues – eine Schauspielerin wird Mutter“
Natascha Heimes, Schauspielerin, tritt wieder am 26.07.2024 mit ihrer szenischen Lesung „baby, bühne und der blues – eine Schauspielerin wird Mutter“ im Münchener Hofspielhaus auf. Die Texte hat sie selbst geschrieben und arrangiert. Hier spricht sie im Interview mit Ercan Karacayli, künstlerischer Leiter ihres Programms, über Ehrlichkeit, Unsichtbarkeit und warum ihr Programm nicht nur für Mütter ist.
Inhalt
- Ein Interview mit Natascha Heimes zu Ihrer 2022 erstmals aufgeführten Szenischen Lesung „baby, bühne und der blues – eine Schauspielerin wird Mutter“
- „Warum gibt’s die nicht, in diesen Mutter-Kind-Gruppen, warum sieht das immer so aus, als ob das für alle so easy ist, …“
- „…, wow, das kostet schon ganz schön viel, weil es natürlich auch immer ein Risiko ist, ein Sich-nackt-machen …“
- „Das Thema Mutterschaft ist ja, genauso wie der Schauspielerberuf, belegt von vielen – auch positiven – Vorurteilen.“
- „Ich habe Angst, dass meine Kraft für ein Festengagement, meine Familie, den Haushalt und alles, was sonst noch so dazugehört, nicht reichen würde.“
- Beratung zum Thema Künstlerischer Beruf & Familie
- Beiträge zum Thema Berufe im Wandel
„Warum gibt’s die nicht, in diesen Mutter-Kind-Gruppen, warum sieht das immer so aus, als ob das für alle so easy ist, …“
Ercan (E): Was ist der Sinn und Zweck der Sache, oder: Was erwartest du dir von dieser Lesung?
Natascha (N): Am Anfang, als ich noch gar nicht wusste, was es wird, ging es in unseren Gesprächen ja darum, dass ich eigentlich ein eigenes Programm haben sollte, um mich nach der „Babypause“ neu positionieren zu können, um Auftrittsmöglichkeiten zu schaffen, es ging nicht NUR darum, sich künstlerisch auszudrücken, wobei es darum SEHR geht, aber auch darum, zu sagen: Ich habe ein Profil, mit dem ich auftreten kann, ich habe ein Konzept, eine künstlerische Handschrift, mit der wir ein Programm kreieren können.
E: Und nachdem ich dir gesagt hatte, schreib einfach, kamst du nach ein paar Monaten mit deinen alten und neuen Texten – es waren ja sehr viele schon vorher da, bevor es die Idee des Programms gab – und dann ging es ja eigentlich nur noch darum, das vorhandene Material in eine Ordnung zu bringen.
N: Ja, und dann hat es sich einfach so ergeben, dass es im ersten Teil der Lesung darum geht, wie das Leben so allgemein ist, also auch als Schauspielerin. Was für Vorurteile gibt es da eigentlich – das meine ich jetzt gar nicht negativ – wie ist so ein Leben als Schauspielerin und wie funktioniert das, ein Privatleben diesem Beruf unterzuordnen, der eigentlich, wenn man eine Festanstellung an einem mittelgroßen Stadttheater hat, alles auffrisst – was ist, wenn man noch etwas anderes will? Und der zweite Teil der Lesung, hauptsächlich mit Texten, die nach der Geburt meines Sohnes entstanden sind, dreht sich dann viel darum: Jetzt bin ich Mutter und eigentlich war doch das nicht hinterfragte Versprechen im Allgemeinen, dass das die größte und tollste Erfahrung auf der Welt ist, Mutter zu werden, und dass man dann irgendwie selbstverständlich glücklich ist.
Und da habe ich mich nicht gefunden. Und da ist man dann eigentlich schon sehr dort, was der Abend will – oder soll. Oder macht.
E: Was macht er?
N: Er schafft Sichtbarkeit. Sichtbarkeit einerseits für unangenehme, „verdrängenswerte“ Gefühle und Tatsachen des Lebens, bei deren Erscheinen man gerne wegschaut, und andererseits eine Sichtbarkeit für die Mütter und Väter, die sich in ihrer Rolle als Eltern nicht “glücksbeladen“ und total erfüllt erleben, sondern minderwertig, mangelhaft und inkompetent, und das in so einer heftigen Art und Weise, dass sie das Gefühl haben, aus dem Rahmen zu fallen.
E: War das bei dir so?
N: Ja. Während der Schwangerschaft sagte mir meine Gynäkologin in einem Gespräch, dass schwangere Frauen im zweiten Trimester eigentlich fit wie ein Turnschuh seien und sich zum Bäume ausreißen fühlen. Bei mir war es anders, ich war in hohem Maße traurig, ängstlich, und konnte gar nicht sagen, weshalb. So kam es dazu, dass ich bei der MAP (Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse) eine Therapie begann, schon während der Schwangerschaft. Und als das Baby da war, und auch das nicht so war, wie ich es mir gewünscht hätte, weder die Geburt noch die ersten Wochen danach, noch das Stillen, und sich das alles zu einer Wochenbettdepression auswuchs, aus der ich auch nicht mehr rauskam, da wurde mir in meinem Tunnel klar, dass es logischerweise auch andere Eltern geben musste, denen es genauso geht, wie mir – ich sah sie ja immer, wenn meine Therapiestunde zu Ende war, dann kam ja die Nächste mit Baby. Die Therapeutin sagte auf Nachfrage: Ja sicher, die gibt’s, ganz viele, sonst wäre ich ja schon seit Jahrzehnten arbeitslos. Und ich dachte mir dann immer: Ja, aber warum sehe ich die nicht? Warum gibt’s die nicht, in diesen Mutter-Kind-Gruppen, warum sieht das immer so aus, als ob das für alle so easy ist, Beruf in Teilzeit, auf dem Spielplatz gut aussehen, Kind(er) wuppen, supertollen Mann dazu, und darum geht es für mich unter anderem. Zu zeigen: Die gibt es auch, die, die das alles nicht gut oder gar nicht schaffen, ich gehöre zum Beispiel dazu – und ich habe leider nie eine/n andere/n kennengelernt, aber ich weiß, dass es sie geben muss – und ich finde, sie dürfen sich zeigen.
E: Warum, denkst du, zeigen sich diese anderen Mütter oder Väter nicht – warum sprechen so Wenige offen über diese Gefühle – wenn sie sie haben?
N: Zuschauerinnen sagen manchmal, nachdem sie den Abend gesehen haben, ihnen hätte da so ein bisschen die Liebe, wenn es ums Thema Kind ging, gefehlt, und als ich das das erste Mal gehört habe, hab’ ich da ziemlich dran geknackt, weil ich dachte: Ist das denn nicht klar? Also – natürlich liebe ich mein Kind! Warum wird das automatisch infrage gestellt, wenn ich mal berichte, wie es in MIR aussieht? Und ist das vielleicht der Grund, warum man diese Mütter, denen es wirklich nicht gut geht, und die überfordert sind, nicht „sieht“? Weil sie sich, wenn sie sich zeigen, rechtfertigen müssen, bzw. infrage gestellt wird, dass sie ihr Kind lieben? Die Liebe muss also all die schlechten Gefühle in einem selbst überwiegen, und wenn sie das nicht tut, liebt man nicht genug? Ich habe mir dann gedacht, dass das jetzt noch ein Grund mehr für den Abend ist, und dass die schöne Seite des Mutterseins ja auch nicht die Seite ist, die ich beleuchten wollte. Natürlich gibt es die. Aber muss ich in meinen Abend mit reinschreiben, übrigens liebe ich mein Kind und es ist für mich das Schönste auf der ganzen Welt? Damit alle beruhigt nach Hause gehen? Und ich dachte: Nein. Dann würde er in meinen Augen nur einem der Artikel gleichen, die ich in klassischen Eltern-Zeitschriften lese. Artikel, die ich mir damals rausgesucht habe, weil ich verzweifelt eine Anlaufstelle gesucht habe, von der ich mir Hilfe erhofft habe, und wenn ich Artikel gefunden habe zum Thema „Überforderte Eltern“ oder „Burn-out bei Müttern“, dann gab es da immer dieses Happy End. Es wurde betont, wie schön und erfüllend es dann doch ist, wenn man den richtigen Weg findet. Und das führte dazu, dass ich dachte: Ok. Ich bin irgendwie falsch. Das, was ich empfinde, das ist irgendwie falsch, das gibt’s nicht. Und wenn es das gibt, dann gibt es das nur phasenweise, und dann wird’s auch relativ bald wieder gut oder man findet letztendlich doch noch zum großen Glück. Und das war halt nicht der Fall. Es gibt leider auch Geschichten ohne Happy End, Familien, wo es immer ein struggle bleibt.
E: Es ist ja oft so, dass man sich für falsch hält, in vielen Dingen, und dass es sowas wie Vorgaben oder Regeln oder Pläne gibt, an die man sich zu halten versucht, oder die man versucht zu erfüllen. Und immer wieder versucht, wegzudrücken, wie es einem wirklich geht. Und ich glaube, nachdem man den Abend gesehen hat, merkt man, dass man sich genau das, die Wahrheit auszusprechen, nicht traut. Und nicht getraut hat. Weil man denkt, man ist selbst verkehrt. Das klingt jetzt pathetisch, wenn man das sagt – aber im Grunde ist es bei dir doch eine Suche nach der Wahrheit. Und es gab ja auch eine Menge Frauen, wirklich eine Menge, die sich da wiedergefunden haben in dem Abend.
N: Ja, das ist so. Also natürlich gibt es auch Zuschauer, die nach dem Abend gleich kommentarlos gehen, und das ist für mich auch völlig okay, weil ich verstehen kann, dass es Leute gibt, die sich da nicht wiederfinden oder die sagen, es gefällt uns nicht. Es ist mir nicht wichtig, dass der Abend gut gefunden wird oder gefällt, und das ist toll, das hat sowas Befreiendes. Dadurch, dass es meine eigenen Texte sind, ist nichts „Gespieltes“ dabei, es kann in der Darstellung also nicht misslingen oder unecht wirken. Egal, ob ich eine Stelle mal anders betone oder währenddessen merke – ach, das hätte ich aber besser formulieren können – es ist immer authentisch. Ich bin nach einer Vorstellung meistens zwei Tage sehr erschöpft, und merke, wow, das kostet schon ganz schön viel, weil es natürlich auch immer ein Risiko ist, ein Sich-nackt-machen, und natürlich ist es krass, wenn da 40 Leute sitzen und keiner reagiert, obwohl ich gerade etwas vorlese, das ich wirklich lustig finde. Es gibt ja sehr viele komische Passagen, die mir wahnsinnig viel Spaß machen, es geht ja nicht nur darum, dass es für mich anstrengend ist, Mutter zu sein, es geht auch um viele andere Dinge des Lebens, zum Beispiel wie verrückt es ist, zu versuchen in dieser Stadt eine Wohnung zu finden, es geht darum: Ich werde irgendwie älter und das sehe ich und finde es gar nicht so super und darum, was wird eigentlich aus der Liebe – also es wird ja auch sehr viel gelacht. Aber ich hau’ den Abend jetzt nicht mit links raus, gehe dann heim und mache mir ein Bier auf. Es kostet was und das finde ich auch richtig, dass es was kostet. Schließlich hat es ja auch in Echt viel gekostet. (lacht)
E: Es ist also eine Art Befreiung, oder nicht? Du öffnest dich deinem Publikum ohne Wenn und Aber. Vielleicht fühlt es sich deswegen so befreiend an.
N: Also es fühlt sich nicht so an wie: „So jetzt habe ich mir mal alles von der Seele geschrieben und ballere das raus“ – es sind ja keine privaten Tagebuchaufzeichnungen. Schon während ich geschrieben habe, ging es für mich auch um einen Unterhaltungswert. Also wenn ich schreibe, dann ist es im Idealfall ein Fluss, in den ich reinkomme, und das „unterhält“ mich auch selbst, die Formulierungen, die ich wähle, finde ich in dem Moment gut oder reizvoll oder witzig, der Humor fängt mich ein. Und es ist schön, wenn das, was mich selbst unterhält, auch andere unterhält. Das macht Freude. Und ob das dann traurig ist oder lustig oder heftig, ist egal, wenn ich bemerke, da sind Leute, die sind dabei, am Text und mit mir.
„Das Thema Mutterschaft ist ja, genauso wie der Schauspielerberuf, belegt von vielen – auch positiven – Vorurteilen.“
E: Würdest du sagen, dass deine Texte autofiktional sind?
N: Ich würde es gerne einordnen, aber ich merke, dass ich das nicht kann. Du hast ja auch andere Soloabende mit Schauspielern gemacht, aber da war es etwas Eindeutiges, zum Beispiel klar in Richtung Comedy. Wir haben da ja auch gesucht, und sind dann bei „Szenischer Lesung“ gelandet – was ich gar nicht gut finde, weil man damit doch ehrlich gesagt meistens eine etwas dröge Veranstaltung verbindet. Soloprogramm fände ich besser, aber es wird eben – noch – gelesen. Es fiel mir auch schwer, für den Flyer in Postkartengröße zu beschreiben, worum es in dem Abend geht. Deswegen kam dann unter anderem auch der Satz drauf: „ein Abend für alle“. Und so ist es auch, man muss keine Kinder haben, keine Frau sein, jeder kann es sich anschauen – es ist ein Stück für alle und alle Geschlechter, egal wo sie sich gerade in ihrem Leben befinden.
E: Eigentlich wäre es ja wünschenswert, dass gerade Leute reingehen, die keine Kinder haben. Ich glaube, dass man sagt: Okay, ich darf mich auch schlecht fühlen dabei, Mutter zu sein, oder damit nicht zurechtkommen.
N: Der Begriff „Regretting Motherhood“ fiel natürlich auch mal, aber der passt für mich nicht, es ist nicht so, dass ich sage: wenn ich könnte, würde ich das alles rückgängig machen. Manchmal schon, aber mir ist durchaus klar, dass ich dann auch nicht zufrieden wäre, wenn ich 42 Jahre alt und am Theater engagiert wäre, und kein Kind hätte. Wäre ich auch nicht zufrieden, würde mir was fehlen. Und ich finde es übrigens auch toll, wenn Mütter den Abend sehen, bei denen es total rund läuft, weil die sich dann vielleicht denken: Krass, so kann es auch sein, bei uns ist es eigentlich echt super. Das finde ich toll, wenn die so nach Hause gehen und sich denken: Boah, Gott sei Dank war’s bei mir nicht so wie bei der. Ist doch auch ein Geschenk! Aber es wird eben auch der Raum geöffnet, für die Mütter und Väter, die – warum auch immer – nicht glücklich sind.
Das Thema Mutterschaft ist ja, genauso wie der Schauspielerberuf, belegt von vielen – auch positiven – Vorurteilen.
E: Es wird doch glorifiziert, oder?
N: Ja, irgendwie schon, ja. (Pause) Ja, nicht offen, ich glaube, das ist das Problem, es wird nicht offen glorifiziert, sondern es ist so … zum Beispiel hat in meiner Geburtsvorbereitungskurs-WhatsApp-Gruppe – ja, die gibt es immer noch – neulich eine geschrieben, dass sie jetzt das dritte Kind bekommt, und dann denke ich mir schon auch: Boah krass … Viel Glück! (Beide lachen laut) Ja, das ist irgendwie gemein, das traue ich mich schon gar nicht zu sagen, und das ist irgendwie das Problem, alle gratulieren überschwänglich, aber ich weiß doch ganz genau, dass sich nebenbei auch einige denken: „Oh Gott, bin ich froh, dass ich kein drittes Kind kriege, wie wollen die das hinkriegen, war das wohl geplant?“ Eigentlich müsste man doch – statt sofortiger Gratulationen, die ja schon implizieren, dass man total glücklich sein muss über die neue Schwangerschaft – fragen: Und? Wie findest du das? Wie findest du das, bist du glücklich dabei, oder war’s ein blöder Unfall? Wie geht’s dir damit, dass du jetzt zum dritten Mal schwanger bist?
E: (lacht) Blöder Unfall vor allem …
N: Ja, sorry, (lacht), ich meine, ich beneide die ja auch! Ich hätte gern ein zweites Kind, aber das schaffe ich nicht. Nicht nach dieser Erfahrung, und das ist traurig.
E: Was hält dich davon ab, wieder in ein Festengagement zu gehen, seitdem du Mutter bist?
N: Als ich noch am Theater war und unter den Schauspiel-Kolleginnen zwei Mütter waren, habe ich nicht umrissen, was die leisten. Mit einer bin ich befreundet und sie rief mich eines Tages an und fragte, ob sie einfach mal zu mir zum Schlafen kommen kann, mitten am Tag, denn zu Hause geht’s nicht. Der Alltag bei ihr ist: Um 7 Uhr aufstehen, Kind fertig machen, in die Kita oder in die Schule bringen, dann einen Kaffee trinken, zur Probe, um 14 Uhr Probenschluss und Kind abholen, dann kochen, sich ums Kind kümmern, weil es Mama-Zeit braucht und spielen will oder zum Fußball oder was weiß ich, dann um 18 Uhr muss sie zur Probe und es gibt Theater, weil das Kind wieder mal nicht von ihr ins Bett gebracht wird, und sie kommt völlig fertig auf der Bühne an, um 22 Uhr ist Schluss, manchmal bei Vorstellungen erst um 23 Uhr, und dann kommt sie nach Hause und hat vielleicht noch eine halbe Stunde für sich bzw. eigentlich muss sie ja noch Text lernen. Und dann fällt sie ins Bett. Und ich finde das Wahnsinn, wie sie das alles schafft, weil ich weiß, ich würde es nicht schaffen. Als ich am Theater war, brauchte ich die ganze Zeit zwischen den Proben, um mich zu regenerieren und um die alltäglichen Dinge zu erledigen. Ich habe Angst, dass meine Kraft für ein Festengagement, meine Familie, den Haushalt und alles, was sonst noch so dazugehört, nicht reichen würde. Ich bewundere die, die sie haben. Und in München ein Festengagement zu bekommen, ist nicht greifbar, und kleinere Häuser wie Regensburg oder Ulm, müssen erst mal Gastschauspieler brauchen und dann wollen sie die Gäste am liebsten auch mit Teilspielzeitvertrag, und das kann ich nicht bewerkstelligen, mit der Fahrerei und den Abwesenheiten zu Hause. Und das ist sehr, sehr schade, denn ich vermisse das Theater. Mit allem, was dazu gehört.
„Ich habe Angst, dass meine Kraft für ein Festengagement, meine Familie, den Haushalt und alles, was sonst noch so dazugehört, nicht reichen würde.“
E: Was würdest du denn sagen, jetzt mit Abstand, wenn du so auf dich draufschaust, was sollte eine Mutter für ihr Kind leisten? Oder anders: Was hättest du dir von deiner Mutter gewünscht?
N: Entspanntheit. Einen entspannten Umgang mit dem, was ist. Ich habe ja an allem gezweifelt, und das war ein wahnsinniger Stress. Dieser Wunsch, ich will nur das Beste für mein Kind, und es soll auf gar keinen Fall merken, dass es mir gerade nicht gut geht und dass ich leide, das darf es auf gar keinen Fall mitkriegen, und dazwischen habe ich mich selbst zerrieben. Und sich dann nach 2 Jahren in hauptsächlich diesen Gefühlen einen Job zu suchen, weil Geld muss ja auch noch reinkommen, das war und ist für mich – schwer. Und in dem Abend geht es ja auch um die Zerrissenheit, in der man sich befindet, dass man seinen Beruf als Künstlerin, in diesem Fall als Schauspielerin, ausüben möchte, und es eben keine Teilzeitstelle ist, in die man nach der Babypause zurückkehren kann, sondern es ist weg, das Festengagement ist weg, der Wohnort ist weg und ich habe aber diesen Drang, künstlerisch zu arbeiten, ich muss mich irgendwie ausdrücken. Das brauche ich zum Atmen. Und gleichzeitig ist da aber jemand der 24 Stunden rund um die Uhr Betreuung braucht, und man möchte alles richtig machen, man möchte gut sein, und letztendlich kriegt man beides nicht richtig hin.
E: Entspannt-Sein ist ja nur das Ergebnis von Verarbeitung, also wie du mit Problemen, wie du mit Stress und mit allem umgehst.
N: Ja, stimmt. Ich glaube, dass man sich trotz allem gut um sich selbst kümmern muss, und das finde ich gar nicht so einfach. Aber wenn Eltern einem Kind vorleben, dass sie sich gut um sich selbst kümmern, dann lernt es das auch. Man vergisst sich oft selbst und kommt dann zu kurz oder weiß gar nicht mehr, wie das überhaupt geht, sich um sich selbst zu kümmern.
E: Ich finde, dass dein Programm ein wahnsinnig ehrliches Statement zum Mensch-Sein ist. Es ist menschlich.
N: Das hast du schön gesagt!
E.: Es ist so spannend, dir dabei zuzuhören, wie du den Dingen bis auf den Grund gehst, nicht ausweichst, wenn es unangenehm wird, sondern einfach immer weitergehst, und das mit einer faszinierenden Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Der Mensch ist nicht perfekt, man hört das so oft, dass man es gar nicht wahrnimmt, es ist menschlich, und ein Mensch irrt, ein Mensch verletzt, der Mensch ist niemals perfekt, ganz im Gegenteil, er ist widersprüchlich, er ist kaputt und er ist aber auch in der Lage, Negatives zu verarbeiten und nach vorn zu gehen, der Mensch ist so vieles, und du zeigst die Vielfältigkeit, im Prinzip, was alles möglich ist, und dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt und dass es keinen Status quo geben kann, weil wir alle auch Unikate sind.
N: Das wäre doch was für den Klappentext!
Das Interview wurde am 7. Juni 2024 per Zoom von der Türkei nach Deutschland geführt und aufgezeichnet.
Mehr zur Lesung am 26.07.2024 auf der Website des Hofspielhauses
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