Wir haben zahlreiche Gespräche mit Produktionsfirmen und Akteuren aus der Filmindustrie geführt. Besonderer Dank gilt unserem Dialogpartner Unifiedfilmmakers in Vertretung durch Florian Deyle, Produzent. www.unifiedfilmakers.de
Was ist für Sie die Ursache für den Fachkräftemangel?
Eines hörten wir immer wieder: Nicht allein die Produktionsfirmen und deren Vertreter* tragen die Verantwortung für den Fachkräftemangel. Das System Filmförderung und Rundfunkanstalten sollte reformierten werden. Der Sparzwang der Rundfunkanstalten ist ein wichtiger Faktor im Rahmen der Analyse: Warum, weshalb, wieso? Von anfänglich 30 Drehtagen für einen Fernsehfilm sind knapp 20 Tage übriggeblieben. Das Sparen an allen Ecken und Enden trifft, wie es in allen anderen Unternehmen auch der Fall ist, die untersten Hierarchieebenen, was zu Unmut und Motivationshemmnissen bis hin zu gesundheitlichen Erkrankungen und Existenzängsten führt. Unsere Beratungserfahrung mit Akteuren aus der Filmwirtschaft zeigt, dass die Liebe zum Beruf, dem Strukturproblem nichts entgegensetzen kann, was dazu führt, dass sie der Branche den Rücken kehren. Nicht selten allerdings werden erfahrene Filmschaffende* wegrationalisiert, da sie im Alter von Mitte Vierzig schon zum „alten Eisen“ gehören.
Dass die Film- und Fernsehproduktion die familienfeindlichste aller Branchen ist, und dies nicht nur für Frauen, wurde allseits bestätigt. Erst langsam rückt das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ in den Mittelpunkt der Branche und wird als anzustrebendes Ziel definiert. Was verwundert, denn schon lange wird die Quoten-Debatte geführt und der Wunsch nach weiblichen Regisseurinnen ist laut.
Eine weitere Ursache ist der Markt. Neue Player wie Netflix, Amazon, Disney erhöhten in den letzten Jahren das Produktionsvolumen im deutschen Filmproduktionsmarkt. Da Filmhochschulen überwiegend nur in den Bereichen Regie, Drehbuch, Szenenbild und Kamera ausbilden, es aber gerade für die Bereiche Produktion so gut wie keine Ausbildungsstätten gibt, fehlt es vor allem an Nachwuchskräften in diesem Bereich. Aber auch für alle anderen, den Führungsebenen nachgelagerten Bereichen, gibt es einen ähnlichen Bedarf. Das gilt für die technischen Berufe (Tonmeister, Beleuchtung, Kamera-Assistenz, etc.) genauso wie für die kreativen Bereiche (Kostümbild, Ausstattung, Maskenbild). Für letztere gibt es zwar Studiengänge, in der Summe aber viel zu wenige. Was wiederum damit zu tun hat, dass insbesondere die Fachkräfte traditionell ihren Job über viele Jahre und das Sammeln von Erfahrungen gelernt haben. Die Filmproduktion, aber auch die gesetzeskonforme Umsetzung von Dreharbeiten, werden immer komplexer und in ihren Tätigkeitsbereichen auch anspruchsvoller als das früher der Fall war. Das betrifft vor allem die größer gewordene Anzahl von gesetzlichen Vorgaben, die in der Fülle früher nicht zu beachten waren.
In welchen Bereichen ist der Fachkräftemangel für Produktionsfirmen besonders spürbar?
In allen der Führungsebene untergeordneten Bereichen, für die es keine oder nur sehr wenige Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Das geht von dem Bereich Produktion (Produktionsleitung, Aufnahmeleitung, Filmgeschäftsführung) bis hin zu Fachkräften in anderen Gewerken: Kostümbild (wer bildet Gardobrieren oder Kostüm-Assistenten aus ?) Ausstattung (Requisiteure, Bühnenbauer) oder im technischen Bereich: Ton (Ton-Assistenz, Tonmeister), SFX, Regie (Regie-Assistenz, Script Continuity), etc.
In den Assitenz-Bereichen wird es also zunehmend schwieriger, an gut ausgebildete Fachkräfte zu gelangen. Im Bereich der Produktion fehlt es vor allem an Film-geschäftsführern und Produktionsleitern, was in beiden Fällen große Probleme bereitet, da in beiden Positionen mehr und mehr gesetzliche Vorschriften (Arbeitszeit, Datenschutz, sicherheitstechnische Vorgaben) zu beachten sind und somit das Risiko einer nicht gesetzeskonformen Umsetzung steigt.
Hätten Sie Ideen, wie man das Problem perspektivisch lösen könnte?
Tatsächlich gibt es schon Ideen, wie man den Fachkräftemangel beheben will. Martin Moszkovicz ist seit Jahren bemüht – in Zusammenarbeit mit konventionellen Universitäten -, Studiengänge aufzubauen. Allerdings muss eine filmische Fachkraft nicht immer unbedingt ein ganzes Studium hinter sich gebracht haben, um erfolgreich in ihrem Job zu sein. Hilfreich wären Ausbildungslehrgänge mit überschaubarer Ausbildungsdauer, die behördlich zertifiziert sind. Martin Blankemayer mit seiner Münchner Filmwerkstatt engagiert sich diesbezüglich seit Jahren. Sein Versuch einen Lehrgang für Filmgeschäftsführer mit IHK Abschluss, also in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer anzubieten, scheiterte bisher.
Aus Produzentensicht, wie wir erfahren haben, wäre es scheinbar hilfreich beim filmischen Nachwuchs auf die Anwendung des Mindestlohns zu verzichten bzw. diesen zu Ausbildungszwecken zu reduzieren. Man darf z.B. einen Praktikanten* nur 3 Monate (außer Pflichtpraktikum im Rahmen eines Studiums) beschäftigen. Allerdings macht dies in aller Regel erst nach 3 Monaten Einarbeitungszeit Sinn. Vorher kostet er* aus Produktionssicht mehr Zeit und Mühe und ist wenig produktiv, da er* erst lernen muss, sich in den Aufgabenstellungen und Abläufen zurecht zu finden. Ganz gravierend ist das in den technischen Berufen. Wie soll zum Beispiel ein Ton-Assistent* (dessen* Arbeit am Set von großer Bedeutung ist) lernen, wie man die Tonangel richtig hält, wenn er* nicht die Chance hat, dass vorher als Praktikant zu lernen. Diese Positionen können sich die Produzenten* aufgrund der hohen Personalkosten und der in der Kalkulation immer knapper kalkulierten Gewinnmargen so gut wie nie leisten. Das gelingt nur bei sehr aufwendigen Produktionen. Gleiches gilt für die Bereiche Licht und andere technische Gewerke.
Was glauben Sie, sollte der Nachwuchs mitbringen?
Das was jeder gute Nachwuchs mitbringen sollte. Großes Engagement, Leistungsbereitschaft und Interesse. Interessierte Nachwuchskräfte gibt es mehr als genug. Sie im laufenden Betrieb mitzufinanzieren, macht nur für große Produktionsfirmen Sinn. Kleinere Produktionsfirmen können sie sich nicht leisten, es sei denn, sie würden bezuschusst werden. Sinnvoll wären deshalb staatlich geförderte Ausbildungslehrgänge, die breiter ausgerichtet sind.
Die Lage der Filmindustrie und die Forderungen, die immer lauter werden, betrifft nicht nur die deutsche Filmwirtschaft. Sowohl in England als auch in Amerika und in einigen europäischen Ländern kämpfen Akteure um bessere Strukturen und Rahmenbedingungen.
Aktuell eine Meldung aus der US-Film- und Fernsehbranche:
Der drohende Streik in der US-Film- und Fernsehbranche ist abgewendet, meldete am 17.10.2021 der Deutschlandfunk. Im Streit um Ruhezeiten und Entlohnung sei ein „Durchbruch“ gelungen: „Nach tagelangen Verhandlungen einigten sich Vertreter der Gewerkschaft sowie von Studios und Unternehmen der Unterhaltungsbranche vor Ablauf der Streikfrist auf einen Vertrag mit drei Jahren Laufzeit.“
Der Durchbruch: Laut Gewerkschaft sehe die vorläufige Vereinbarung (die noch von den Mitgliedern ratifiziert werden muss) einen existenzsichernden Lohn für die Geringverdiener vor; verbesserte Löhne und Arbeitsbedingungen bei den Streamern; rückwirkende Lohnerhöhungen von 3 Prozent jährlich; strengere Essenszeiten; tägliche Ruhezeiten von 10 Stunden ohne Ausnahme; Wochenendruhezeiten von 54 Stunden; die Aufnahme des Geburtstags von Martin Luther King Jr. als Feiertag in den Zeitplan; und Annahme von Initiativen für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion.
„Ein Punkt, über den sich viele Film- und Fernsehschaffende beschwert hatten, war die Erosion des Wochenendes, weil die Arbeitswoche mit einem späten Freitag endete, der häufig in einen Samstag überging, der allgemein als ,Fraturday’ bekannt wurde. Die neue Vereinbarung sieht eine Mindestruhezeit am Wochenende vor.“
Wir danken allen Interviewpartnern*
kmkb – Redaktion
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