Die mediale Präsenz von Königin Victoria und der königlichen Familie
28/07/2022
Demokratisierung des Vereinten Königreichs
Es waren keine ruhigen Jahre. Im Gegenteil, es waren Dekaden des gesellschaftlichen Umbruchs, die Königin Victoria, gerade 18jährig, als Herrscherin des Vereinigten Königreichs zum Wohle ihrer Untertanen aktiv gestalten wollte.
Anfangs noch politisch unerfahren, halfen ihr Mut und ihr Mentor Lord Melbourne, unkonventionelle Entscheidungen zu treffen. So war die Beteiligung des House of Commons an Ihrer Krönung 1838 einer der ersten Schritte zur Demokratisierung Großbritanniens. Ihre natürliche Empathie in Begegnungen, ihr Gestaltungswille und ihre Bereitschaft, in konfliktreichen Auseinandersetzungen mit den jeweils regierenden Premierministern Entscheidungen für die Verbesserung der Lebensqualität ihres Volkes herbeizuführen, brachten ihr in den Anfangsjahren ihrer Regentschaft große Beliebtheit. Mittels eines gemeinsamen, mit Prinz Albert verfassten Memorandums und ihres Einflusses auf Premierminister Peel, der beim Parlament eine Streichung der Weizenzölle herbeiführen konnte, trug sie zur Linderung der Hungersnot (1846-1849) in Irland (damals eine defacto-Kolonie Englands) bei. Das Volk Irlands brachte ihr daraufhin, auf ihrer im Jahr 1949 vorgenommen königliche Rundreise große Zuneigung und Begeisterung entgegen.
Ambivalent dem Volk gegenüber
Nebenbei sei erwähnt, dass ihr die Zuneigung ihres Volkes selten so eindeutig entgegengebracht wurde. Es blieb bei einem ambivalenten Verhältnis der Königin zu ihrem Volk, das durchaus mit revolutionären Ideen sympathisierte (z. B. während der Februarrevolution 1848 in Frankreich, die Frankreichs König Louis-Philippe ins Exil nach England zwang).
„Dort, wo sie Elend persönlich erfuhr, zeigte sie sich hilfsbereit. Vor allem die einfachen Menschen im Schottischen Hochland machten ihr die Lasten der Armut durchaus begreifbar. Die unterprivilegierten Klassen unterhalb des Bürgertums blieben ihr jedoch fremd. Als Witwe sollte Victoria in den 1880er Jahren mehrfach sozialpolitische Maßnahmen anmahnen, doch dieses Engagement dürfte eher als Verpflichtung gegenüber dem Gatten zu verstehen gewesen sein, denn als persönliche Entscheidung aus innerster Überzeugung.“ – wikipedia
Prinz Albert konnte aktiver als es der Königin möglich war, auf die britische Sozialpolitik Einfluss nehmen. So konnte Königin Victoria sich nicht nur in Fragen der Ethik auf ihren Gemahl verlassen. Albert war ihr politischer Ratgeber, auch kümmerte er sich intensiv um die Erziehung der Kinder. Sie teilten ihre Liebe zur Musik, wenngleich sich Victoria aufgrund ihrer begrenzten Bildung als Gastgeberin großer Saloons unsicher fühlte und Prinz Albert seine Gattin in diesen Fragen nicht in den Schatten stellen konnte.
Victorias und Alberts Medienkompetenz und Sendungsbewusstsein
Während Alberts zeichnerische Fertigkeit ins Architektonische ging – er war maßgeblich bei der Gestaltung des Glaspalasts zur 1. Weltausstellung 1851 (Great Exhibition) beteiligt -, war Victoria eine talentierte Illustratorin mit Sinn fürs Detail. Ein beliebtes Motiv ihrer Zeichnungen waren ihre Kinder beim Spielen. Wie es eine Anekdote will, gelangten ihre Zeichnungen durch Bedienstete als Lithografien in die Öffentlichkeit. Sie versuchten etwas dazu zu verdienen, um ihre Anstellung im königlichen Haushalt finanziell aufzubessern. Von Franz Xaver Winterhalter, einem aus dem Schwarzwald stammenden gefragten Porträtisten, als Ölbild in Szene gesetzte Familienbilder wurden durch Radierungen, aber auch durch Fotos, von Prinz Albert penibel inszeniert. Sie sollten ein Familienbild vermitteln, das entgegen der herkömmlichen Meinung von aristokratischer, verschwenderischer und spielsüchtiger Lebenseinstellung, den bürgerlichen Werten wie Fleiß, Bildung und Sparsamkeit entsprachen. Erfindungen, wie die Photolithographie 1852, oder 1869 das Halbton-Farbauszug-Verfahren (Lichtdruck), ermöglichten die Abbildung von Fotos in Zeitungen und als Drucke, die gerahmt in den Saloons des gehobenen Bürgertums hingen. Neben Abbildungen der königlichen Familie waren romantisierte Landschaften, Jagdgesellschaften oder Stadtansichten sehr beliebt.
Die Postkarte als Massenmedium
Ende des achtzehnten Jahrhunderts gewann die Postkarte als Format zunehmend an Beliebtheit. Im Vereinigten Königreich wurden 1870 Postkarten ohne Bilder von der Post herausgegeben, die mit einer im Kaufpreis enthaltenen Briefmarke als Teil des Designs gedruckt wurden. In jenem Jahr wurden unglaubliche 75 Millionen dieser Karten verschickt. Im Jahr 1894 erhielten britische Verleger von der Royal Mail die Erlaubnis, bebilderte Postkarten zu erstellen und zu vertreiben. Die ersten Postkarten enthielten neben Fotos von Denkmälern oder Landschaftsansichten, Fotografien oder Zeichnungen von Königin Victoria im Trauerflor und der königlichen Familie.
Gerüchte über unangebrachte Affären mit Bediensteten, ihre spannungsreichen Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen Premierminister, ihre konservative Haltung gegenüber modernen gesellschaftlichen Themen, machten es Ihrem Volk nicht einfach, Zuneigung zu empfinden. Königin Victorias Popularität ließ im Lauf Ihrer über sechs Jahrzehnte dauernden Regentschaft nach, sie war nunmehr selten in der Öffentlichkeit zu sehen.
Unter dem Eindruck der Pariser Kommune und der andauernden Abwesenheit Victorias vom öffentlichen Leben erhielten die Monarchie-Gegner um 1870/71 starken Zulauf, was (Premierminister, Anm. d. Red.) Gladstone dazu veranlasste, die Königin zur Rückkehr in die Öffentlichkeit zu drängen. Anlässlich der Genesung des Kronprinzen von einer Typhuserkrankung nahm Victoria am 27. Februar 1872 an einem Dankgottesdienst in der Londoner St Paul’s Cathedral teil. Ihr erster Auftritt nach neun Jahren außerhalb der Parlamentseröffnung oder der Einweihung von Albert-Denkmälern. Victorias Auftritt löste große Begeisterung in der Bevölkerung aus und geriet zu einer Demonstration der Zuneigung für das Königshaus. „Es war ein sehr bewegender Tag und mehrere Male musste ich meine Tränen unterdrücken“ – Jane Ridley: Victoria – Queen, Matriarch, Empress, Penguin Monarchs, London 2015, ISBN 978-0141977188, S. 37.
Königin Victoria verstarb im Alter von 81 Jahren, am 22. Januar 1901 in den Armen ihres Enkels Wilhelm II. und ihres Sohnes Albert Eduard. Nach ihrem Ableben erinnerte man sich an die „Good old Times“ als das „Viktorianische Zeitalter“. Postkarten, die Queen im Trauerflor und Ihre Kinder, waren nie beliebter als nach Ihrem Tod.
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